Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
muss.«
»Dann schick sie in eine Sonntagsschule oder eine Medrese. Ich will nicht noch mehr Juden haben.«
Sie schüttelte den Kopf und stand auf. Diesmal hielt er sie nicht zurück.
Ihm kam der Gedanke, sie zu bitten, mit ihm nach oben zu gehen; es wäre doch eine Schande, das Ritz nicht zu nutzen.
Aber dafür war es zu spät.
2
An einem Abend, an dem er beim Online-Poker über zweitausend Pfund verloren hatte, ging Finkler sich eine Prostituierte suchen. Vielleicht hatte Libor, weil er neben einer saß, ihm den Gedanken wie durch Magie eingeflößt. Sie standen sich so nah, auch wenn sie immerzu unterschiedlicher Meinung waren.
Finkler brauchte keinen Sex, er brauchte etwas zu tun. Die einzigen Argumente, die für einen rationalen Amoralisten wie ihn gegen eine Prostituierte sprachen, waren Tripper und Geld. Einem Mann steht es frei, mit seinem Körper zu tun, was ihm beliebt, solange er dabei nicht seine Familie in die Armut treibt
oder sie infiziert. Hatte man beim Pokern jedoch gerade zweitausend Pfund verloren, fielen, rein philosophisch gesehen, dreihundert Pfund für eine Stunde mit einer anständig aussehenden Prostituierten auch nicht mehr ins Gewicht. Und was den Tripper anging – es war niemand mehr da, den er hätte anstecken können.
Es gab auch noch anderes zu bedenken. Sein Gesicht war bekannt, wenn auch wohl nicht bei Prostituierten. Die mussten arbeiten, wenn im Fernsehen Dokumentarfilme liefen. Andere Männer aber, die auch auf der Suche nach einer Hure waren, könnten ihn erkennen, und er wusste, auf die Solidarität der Gestrauchelten war kein Verlass. Nur Minuten später würde auf irgendeiner Facebook-Seite stehen, dass man ihn am Shepherd Market herumpirschen sah, auch wenn die Person, die ihn gesehen hatte, dort selbst auf der Pirsch gewesen war.
Er hätte in die Bar eines entsprechenden Hotels in der Park Lane gehen können, wo der Aufriss etwas diskreter ablief, aber gerade die Suche gefiel ihm. Sie glich dem fruchtlosen Fahnden nach dem verborgenen Gesicht, der verborgenen Erinnerung, auf die letztlich alles Streben nach sexuellem Glück hinausläuft. Die Suche war die aufs Wesentliche reduzierte Romanze. Man konnte auf die Suche und dann erfolglos nach Hause gehen und sich immer noch einreden, man hätte einen guten Abend verbracht. Einen besseren Abend in Finklers Fall, da er sich nicht erinnern konnte, je eine Prostituierte gefunden zu haben, die ihm gefallen hätte, doch gefiel ihm ja gerade das verborgene Gesicht, die Erinnerung, deren Sinn darin bestand, verborgen zu bleiben. Zu einem netten jüdischen Mädchen mit Brüsten wie die Manawatu-Schlucht hätte er wohl kaum Nein gesagt, da es ihm allemal lieber gewesen wäre als noch eine von diesen schlanken Eispickelpolinnen, aber vermutlich hätte er auch nicht Ja gesagt.
Was es, wie er dachte, für ihn gefahrlos machte, durch die Straßen zu stromern. Ein Mann mit so sichtlich lauwarmem
Verlangen lief kaum Gefahr, dass man ihn verdächtigte, auf der Suche nach Sex zu sein.
Weshalb er erschrocken zusammenfuhr, als jemand seinen Namen rief.
»Sam! Onkel Sam!«
Am klügsten wäre es wohl gewesen, den Ruf zu ignorieren und einfach weiterzugehen, doch wusste er, dass er beim Klang seines Namens den Kopf gewandt hatte; weiterzugehen hätte also nur Verdacht geweckt. Er drehte sich um. Alfredo stand mit ein paar Leuten vor der Market Tavern und nuckelte an einer Flasche Corona.
»He, Alfredo.«
»He, Onkel Sam. Was Bestimmtes vor?«
»Kommt drauf an, was du damit meinst.« Finkler schaute auf seine Uhr. »Ich treffe mich gleich mit meinem Produzenten. Bin schon spät dran.«
»Neue Serie für die Glotze?«
»Noch in der Anfangsphase.«
»Und worum geht’s diesmal?«
Mit den Händen in der Luft deutete Finkler Kreise tiefschürfender Unbestimmtheit an.
»Ooch, Spinoza, Hobbes, Redefreiheit, Überwachungskameras, all so was.«
Alfredo nahm die Sonnenbrille ab, setzte sie wieder auf und rieb sich den Nacken. Finkler roch den Alkohol in seinem Atem. War er zu besoffen, sich eine Prostituierte zu suchen, überlegte Finkler, oder trank er sich Mut an?
Falls Letzteres, hatte er es übertrieben. Keine Hure würde sich mit einem derart ermutigten Mann einlassen.
»Weißt du, was ich von diesem ganzen Überwachungsscheiß halte, Onkel Sam?«, sagte Alfredo.
Finkler hasste es, wenn Alfredo ihn onkelte. Dieser sarkastische kleine Pisser. Er sah auf seine Armbanduhr. »Sag’s mir.«
»Ich find’s klasse. Ich hoffe, wir
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