Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
konnte Treslove es sich leisten, großzügig zu sein: Er besaß, was sich der Epispamist Alvin Poliakov sein Leben lang gewünscht hatte – eine Vorhaut.
Epispamos, so erfuhr Treslove aus Alvin Poliakovs Blog, nennt man die Wiederherstellung der Vorhaut. Nur kann man, wie Alvin Poliakov erklärt, eine Vorhaut nicht wiederherstellen. Ist man einmal ohne, bleibt man ohne. Mit dem nötigen
Einfallsreichtum aber könnte es gelingen, das Fehlende durch eine falsche Vorhaut zu ersetzen. Und um dies zu beweisen, sitzt Alvin Poliakov Tag für Tag vor der Kamera.
Aus Interesse, aber auch, um sich eine Pause von Maimonides zu gönnen und weil Hephzibah zurzeit wegen irgendwelcher Probleme im Museum viel unterwegs war, sah Treslove ihm zu.
Alvin Poliakov, Sohn eines depressiven Hebräischlehrers, Junggeselle, Bodybuilder, ehemals Radiotechniker und Erfinder, Gründungsmitglied der ASCHandjiddn, beginnt seinen Tag damit, an der losen Haut seines Penis zu zupfen und sie täglich ein bisschen weiter den Schaft hinaufzuschieben. Er macht dies gut zwei Stunden lang, legt dann eine kurze Pause ein, gönnt sich eine Tasse Tee und einen Schokoladenkeks und beginnt aufs Neue. Es ist ein sehr, sehr langsamer Prozess. Am Nachmittag nimmt er Messungen vor, wertet die Daten des Vormittags aus und schreibt seinen Blog.
»Ich spreche«, vertraut er seinen Lesern an, »für die Millionen verstümmelter Juden dieser Welt, die fühlen, was ich mein Leben lang gefühlt habe. Und nicht allein für die Juden, denn es gibt auch Millionen von Nicht-Juden, die unter der fälschlichen medizinischen Annahme, dass man ohne Vorhaut besser dran sei, beschnitten worden sind.«
Er schreibt nicht: »Die Juden täuschen mal wieder die Welt«, doch nur einem gottergebenen, vorhautlos glücklichen Trottel könnte diese Andeutung entgehen.
Alvin Poliakov schreibt, wie Wochenschaureporter der vierziger Jahre gesprochen haben, nämlich so, als misstraue er der Technologie und müsse schreien, um gehört zu werden.
»Seit Anbeginn der Zivilisation«, behauptet er, »versuchen Männer, sich wiederzubeschaffen, was ihnen, die damals noch zu jung waren, um mitreden zu können, unter Verletzung ihrer
Menschenrechte genommen wurde. Ein Empfinden der Unvollständigkeit treibt sie an, ein Wissen darum, etwas so Verkrüppelndes wie eine Amputation erlitten zu haben.«
Er beschreibt die Qualen der Juden in der griechisch-römischen Antike, die sich assimilieren und von ihrer besten Seite zeigen wollten, aber nicht in die Bäder gehen und andere Männer ihren Penis sehen lassen durften, da sie fürchten mussten, verspottet zu werden. (Wie viele Juden, fragt sich Treslove, hatten das wohl gewollt?) Dies verführte verzweifelte Juden dazu, ihr Heil in einer Operation zu suchen, die oft tragische Folgen hatte. (Treslove schaudert es.) Die erwiesenermaßen einzige Methode, im besten Falle eine Art Simulakrum der Vorhaut wiederherzustellen, ist jene, die der Blogger selbst praktiziert.
Doch habt acht!
Man erhoffe nicht zu viel, gebe sich aber auch nicht mit zu wenig zufrieden, so lautet Alvin Poliakovs Philosophie.
Und was die Methode angeht …
Man besorge sich einen ausreichenden Vorrat an Klebpapier, chirurgischem Gewebekleber, Klebefilm (Treslove ertappt sich dabei, dass er an den Tesafilm denkt, mit dem Josephine, Mutter eines seiner Söhne, wessen, weiß er gerade nicht genau, ihre Schuhe geflickt hat), Strumpfbandhalter, Elastikbänder, Gewichte und einen stabilen Holzstuhl.
Jeden Morgen fotografiert Alvin Poliakov seinen Penis aus unterschiedlichen Perspektiven in der Absicht, die Bilder am Nachmittag mit den schematischen Details jener Prozedur ins Netz zu stellen, der er sich im Laufe des Tages unterzogen hat – das Falten von Pappkragen, den Gebrauch des Klebebands, das Eincremen überreizter Haut, die vornübergebeugt auf dem Holzstuhl verbrachten Stunden, in denen er die Haut vorgezogen hat, immer weiter vor, und das von ihm erfundene System von Gewichten, wozu Kupferschmuck gehört, die Tasten eines Kinderxylofons, aber auch ein Paar kleiner Messingkerzenständer,
wie man sie, erklärt er in ernstem Ton, billig auf jedem guten Markt oder in Geschäften erstehen kann, die indischen Nippes verkaufen.
Wie ein asketischer Mönch sitzt er da mit glatt rasiertem Schädel und aufgepumpten, prallen Muskeln, den Kopf zwischen den Knien wie ein Schlangenbeschwörer, der weiß, dass es noch Jahre dauern wird, bis die Schlange sich zeigt, falls sie denn
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