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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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sie tut es nicht.«
    »Und ich bezweifle, dass sie es tut. Die Frage ist nur, warum du es nicht bezweifelst, wenn du doch nichts gesehen hast, das einen solchen Verdacht rechtfertigen könnte.«
    Treslove dachte darüber nach.
    »Ich muss mir noch ein Sandwich bestellen«, sagte er, als könnte er ohne nicht ehrlich nachdenken.
    »Nimm meins«, erwiderte Libor.
    Treslove schüttelte den Kopf und dachte an Tyler. »Nimm, was mir gehört«, hatte Finkler gesagt, wenn auch nicht explizit mit diesen Worten. »Nimm die meine, ich bin anderweitig liiert.«
    Er hatte Libor nie von den Abenden erzählt, an denen er sich mit Tyler Finklers Dokumentationen angesehen hatte. Er hatte keinem Menschen davon erzählt. Das stand ihm nicht zu.
Die Abende gehörten auch der armen Tyler, und in gewisser Weise sogar Finkler. Doch er wünschte sich, er könnte die Affäre erwähnen, falls es denn eine Affäre gewesen war, könnte Libor jetzt davon erzählen. Vielleicht half es, etwas zu erklären, wenn er auch nicht genau wusste, was das sein sollte. Woher sollte er es auch wissen, wenn er sich selbst die Frage nicht in Worte fassen hörte? Libor war alt. Wem würde er schon was erzählen? Das Geheimnis, das mit Treslove ins Grab sinken würde, würde gewiss noch viel früher mit Libor ins Grab sinken.
    Er gab diesem Impuls nach und begann zu erzählen.
    Stumm hörte Libor zu. Als er zum Ende kam, fing Libor zu Tresloves Erstaunen zu weinen an. Keine Unmengen Tränen, doch rannen eine oder zwei aus den wässrigen Augen des alten Mannes.
    »Tut mir leid«, sagte Treslove.
    »Das sollte es auch.«
    Treslove wusste nicht, was er sagen sollte. Mit einer solchen Reaktion hatte er nicht gerechnet. Libor war ein Mann von Welt. Erlaube mir wenigstens einen kleinen Fick außer der Reihe, wenn du aus meinem Leben erzählst, hatte er zu Treslove gesagt. So was tun Männer und Frauen nun mal. »Auf die eine oder andere Indiskretion kommt es dabei nicht an« – Libors eigene Worte.
    »Ich hätte dir besser nichts davon erzählt«, sagte Treslove. »Es war falsch von mir.«
    Libor schaute auf seine Hände. »Ja, das war falsch von dir«, sagte er, aber so, als redete er gar nicht mit Treslove. »Mir davon zu erzählen war vermutlich schlimmer als die Tat selbst. Ich will die Bürde dieses Wissens nicht. Lieber würde ich Tyler anders in Erinnerung behalten. Dich auch. Bei Sam dagegen kommt es nicht so drauf an. Er kann für sich selbst sorgen. Auch wenn mir lieber gewesen wäre, ich wüsste nicht, wie falsch eure Freundschaft ist. Du hast die Welt ein wenig trauriger
gemacht, Julian, und glaub mir, sie ist schon traurig genug. Warum hast du mir nur davon erzählt? Das war wirklich sehr unhöflich von dir.«
    »Ich weiß nicht. Und ich betone noch einmal, wie leid es mir tut. Ich weiß nicht, warum ich es erzählt habe.«
    »O doch, das weißt du. Man weiß immer, warum man etwas erzählt. War es deshalb, weil du stolz auf diese Eskapade bist?«
    »Eskapade? Gott, nein.«
    »Auf die Eroberung dann.«
    »Eroberung? Gott, nein.«
    »Aber aus irgendeinem Grunde bist du darauf stolz. Vielleicht, weil du Sam damit eins ausgewischt hast?«
    Treslove wusste, es gehörte sich, dass er über seine Antwort nachdachte. Ständig »Gott, nein« zu sagen, war nicht genug.
    »Nicht, weil ich ihm damit eins ausgewischt hätte, ich hoffe es jedenfalls nicht. Vielleicht eher, weil ich damit in seine Welt vorgedrungen bin. In ihre Welt.«
    »Von der du dich ausgeschlossen gefühlt hast?«
    Es gehörte sich, auch darüber nachzudenken. »Ja.«
    »Weil sie ein glamouröses, erfolgreiches Paar waren?«
    »Ja, vielleicht.«
    »Aber Sam war dein Freund. Du bist mit ihm aufgewachsen. Ihr habt euch ständig gesehen. Er hat doch nicht in einer Welt gelebt, zu der du keinen Zugang hattest.«
    »Ich bin mit ihm aufgewachsen, aber für mich blieb er immer fremd. Ein Rätsel gewissermaßen.«
    »Weil er so klug ist? Weil er berühmt ist? Weil er ein Jude ist?«
    Tresloves Salt-Beef-Sandwich kam, triefend vor Senf, wie er es zu schätzen gelernt hatte, dazu nicht eine, sondern zwei eingelegte Gurken, in feine Scheibchen geschnitten.
    »Schwer zu beantworten«, sagte er. »Aber okay, ein Ja auf alle Fragen.«

    »Wenn du also in den Armen seiner Frau gelegen hast, dann hast du dich einen Moment lang so klug wie er, so berühmt wie er und so jüdisch wie er gefühlt?«
    Treslove verschwieg, dass er nie in Tylers Armen und sie nie in seinen gelegen hatte. Libor sollte nicht wissen,

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