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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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für ein Grund?«

    »Der Grund, dem all unsere Ängste entstammen, der Ort, der unsere Sehnsucht nach dem Ende aller Dinge birgt.«
    »Das wird ja immer tschechischer. Ich habe keine Sehnsucht nach dem Ende aller Dinge.«
    Libor lächelte und legte eine alte, zittrige Hand auf seine Finger. Von alt und zittrig einmal abgesehen, erinnerte ihn diese Geste an Hephzibah. Warum musste ihn nur jedermann tätscheln?
    »Mein Freund, in all den Jahren, in denen ich dich kenne, hast du dich nach dem Ende der Dinge gesehnt und dich dein Leben lang darauf vorbereitet, immer kurz davor, in Tränen auszubrechen. Selbst Malkie hat das gemerkt. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob sie Schubert spielen sollte, wenn du bei uns warst. Der da braucht keine weitere Aufforderung, hat sie gesagt.«
    »Aufforderung wozu?«
    »Dich in die Flammen zu stürzen. Darum geht es doch, darum bist du mit meiner Nichte zusammen und liest Maimonides.«
    »Hephzibah ist für mich doch kein Flammenmeer.«
    »Nein? Was machst du dir dann für Sorgen? Ich glaube, du bekommst, was du haben wolltest, dieses ganze jüdische gescheft . Du siehst darin einen direkten Weg in die Katastrophe, und ich will durchaus nicht behaupten, dass du unrecht hättest.«
    Was für ein Blödsinn, wollte er sagen, aber man lädt einen alten Mann nicht zu einem Salt-Beef-Sandwich ein, das er nicht mehr verdauen kann, und sagt ihm dann, dass er Blödsinn redet. »Ich weiß gar nicht, was du sagen willst«, erwiderte er stattdessen.
    Libor zuckte mit den Achseln. Wenn nicht, dann nicht. Ihm fehlte die Kraft zum Streiten, auch wenn er sehen konnte, dass Treslove mehr brauchte. »Der Sündenfall, die Sintflut, Sodom und Gomorrha, das Ewige Gericht, Masada, Auschwitz – sieht man einen Juden, denkt man Armageddon«, sagte er. »Wir erzählen gute Schöpfungsgeschichten, Apokalypsen können wir aber
noch besser. Wir sind am Beginn und am Ende von allem, und jeder will dabei sein. Wer uns nicht mit Mistgabeln in die Flammen treiben kann, möchte schreiend mit uns untergehen. Entweder oder. Vom Temperament her hast du dich immer fürs oder entschieden.«
    »Du klingst wie deine Großgroßnichte.«
    »Kein Wunder, wir sind ja auch Familie, weißt du.«
    »Aber Libor, ist das nicht alles, wie Finkler sagen würde, ein wenig solipsistisch? Wenn es nach dir geht, kann niemand den Juden entrinnen.«
    Libor schob den Teller beiseite. »Stimmt, niemand kann den Juden entrinnen«, sagte er.
    Treslove starrte aus dem Fenster. Auf der gegenüberliegenden Seite der schmalen Straße versuchte eine unansehnlich dicke Frau in kurzem Rock Männer zu überreden, sie in einen Club zu begleiten, den freiwillig wohl nur ein sehr verzweifeltes oder ziemlich gestörtes Wesen betreten würde. Sie merkte, dass Treslove zu ihr herübersah und winkte ihm zu. Bring deinen Freund mit, besagte die Geste. Bring auch das Salt-Beef-Sandwich mit. Er senkte den Blick.
    »Und du glaubst«, nahm er den Faden wieder auf, »ich würde mir einreden, Hephzibah habe was mit Sam, um meinen eigenen Untergang zu beschleunigen?«
    Libor wedelte mit den Händen vor seinem Gesicht herum. »Das wollte ich damit nicht sagen, doch wer stets mit dem Schlimmsten rechnet, wird stets das Schlimmste sehen.«
    »Ich habe überhaupt nichts gesehen.«
    »Eben.«
    Treslove stemmte die Ellbogen auf den Tisch. »Da du sagst, Hephzibah gehört zu deiner Familie, Libor, verrat mir doch deine eigene Ansicht. Glaubst du, sie würde so etwas machen?«
    »Mit Sam?«
    »Mit irgendwem.«

    »Nun, nur weil sie zur Familie gehört, ist sie nicht anders als andere Frauen. Aber ich war nie der Ansicht, Frauen seien von Natur aus flatterhaft. Ich habe da meine eigenen Erfahrungen gemacht. Malkie hat mich nie betrogen.«
    »Kannst du dir da sicher sein?«
    »Natürlich bin ich mir nicht sicher, aber wenn sie mich glauben ließ, dass sie mich nie betrogen hat, dann hat sie das auch nie getan. Treue beurteilt man nicht nach jeder einzelnen Tat; es geht vielmehr um den Wunsch, behaupten zu können, dass man treu ist, und um den Wunsch, dass einem geglaubt wird.«
    »Das kann nicht stimmen, Libor, jedenfalls nicht außerhalb von Prag.«
    »Wir haben aber gar nicht in Prag gelebt. Und ich will damit auch nur sagen, dass es auf die eine oder andere Indiskretion nicht ankommt. Entscheidend ist die Treueabsicht als solche.«
    »Also könnte mir Hephzibah noch treu sein wollen, selbst wenn sie mit Sam vögelt.«
    »Ich hoffe, sie tut es nicht.«
    » Ich hoffe,

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