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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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überrascht fest, dass Tamara Krausz das Stück weder geschrieben hatte noch an seiner Produktion beteiligt gewesen war. Beim Zusehen beschlich ihn das Gefühl, sie müsse im Theater sein. Nicht gerade neben ihm, da saß Hephzibah, aber irgendwo in der Nähe. Er konnte sie riechen, die
Verlockungen der Metze mit ihrem unversöhnlich scharfsinnigen Verstand, wie sie ihre Töchter-Hebrons-Schönheit den Feinden ihres Vaters darbot, auf dass sie sich daran erfreuten und sich an ihnen rächten.
    In den letzten Sekunden des Dramas wurde das Luftbild eines Massengrabs von Auschwitz auf einen Gazevorhang projiziert, das dann mit einem Foto der Trümmer von Gaza überblendet wurde.
    Tamara pur.
    Das Stück erhielt stehende Ovationen. Hephzibah und Treslove blieben sitzen. Finkler lachte laut und drehte sich um, damit die Leute ihn sehen konnten. Treslove fand seine Reaktion überraschend. Nicht allein wegen der Einstellung, die sie verriet, sondern auch, weil sie so grotesk übertrieben wirkte. War Finkler jetzt völlig durchgedreht?
    Im Publikum waren eine Anzahl ASCHandjiddn, doch fand Finkler, dass sie seine Anwesenheit ziemlich kühl zur Kenntnis nahmen. Nur Merton Kuggle kam auf ihn zu.
    »Nun?«, fragte er.
    »Wunderbar«, sagte Finkler. »Einfach wunderbar.«
    »Und warum haben Sie gelacht?«
    »Ich habe nicht gelacht, Merton. Das waren die Zuckungen der Trauer.«
    Kuggle nickte und ging hinaus auf die Straße.
    Finkler fragte sich, ob er auf dem Weg ins Theater noch schnell in einem Supermarkt vorbeigeschaut und sich die Taschen mit verbotenem Stör aus Israel vollgestopft hatte.
    Still verließen die Leute das Theater, tief in Gedanken versunken, so tief, wie es nur jenen möglich ist, die schon wissen, was sie denken. Finkler hielt die meisten für Sozialarbeiter oder Schauspieler und meinte, ein paar von Kundgebungen auf dem Trafalgar Square zu kennen. Sie machten den Eindruck erfahrener Demonstranten. »Schluss mit dem Massaker! Stoppt Israels
Genozid!« Bei anderer Gelegenheit hätte er sich unter sie gemischt, um ihnen mit düsterer, feierlicher Miene die Hand zu schütteln, als wären sie Überlebende eines Luftangriffs.
    Er schlug vor, in der Krypta des Theaters auf Tresloves Geburtstag anzustoßen. Erinnerungen an ihre Studententage kamen auf. Seltene Biere, frisch gezapft, dazu Hummus und Tabbuleh mit Fladenbrot. Alte, mit schwarzen Vorhängen drapierte Sofas, auf denen sich reden ließ. Finkler besorgte die Drinks, stieß mit Treslove und Hephzibah an und verstummte dann. Zehn Minuten lang fiel kein Wort. Treslove fragte sich, ob die Stille der beiden eine unterdrückte Erotik verriet. Es hatte ihn ziemlich überrascht, dass Finkler ihre Einladung – vielmehr Hephzibahs Einladung – angenommen hatte. Er musste doch gewusst haben, dass sie unterschiedlich auf das Stück reagieren würden und der Abend sogar im Streit enden könnte. Also musste es noch einen tieferen Grund dafür geben, weshalb er gekommen war. Aus den Augenwinkeln achtete Treslove auf Blickwechsel oder verstohlene Handbewegungen zwischen den beiden, doch vergebens.
    Schließlich war es jemand anderes, der ihnen aus der ideologischen Sackgasse half, in der sie nach Tresloves Meinung steckten.
    »He! Was für eine Überraschung, dich hier zu sehen!«
    Treslove hörte die Stimme, ehe er die Person sah.
    »Abe!«
    Hephzibah verhedderte sich in der Sofadecke, ehe sie sich in einem Wirrwarr von Tüchern erhob. »Julian, das ist Abe – mein Ex.«
    Was glaubt Abe wohl, fragte sich Treslove, mit wem sie jetzt zusammen ist, mit Julian oder mit Sam?
    Abe schüttelte Hände und setzte sich zu ihnen. Ein Mann von schurkischem, aber auch irgendwie engelsgleichem Aussehen mit einem welligen Kranz schwarzer, von weißen Strähnen wie
mit Lichtstrahlen durchschossener Haare, dazu eine Hakennase und eng beieinanderstehende Augen. Er hat ein Gesicht, das langweilt, dachte Treslove, meinte aber ein Gesicht, dessen Anblick ein Stechen, ein Bohren auslöst, keines, das ermüdet. Das Gesicht eines Propheten oder Philosophen – ein Gedanke, an dem ihm gefiel, dass Finkler folglich mehr Grund zur Eifersucht besaß als er.
    Natürlich hatte ihm Hephzibah von ihren beiden Gatten erzählt, von Abe und Ben, doch sosehr er sein Hirn auch zermarterte, fiel ihm nicht ein, wer der Anwalt und wer der Schauspieler war. Wenn er jedoch bedachte, wo sie sich befanden, wie der Mann aussah und dass er ein schwarzes T-Shirt trug, so dürfte Abe, der Schauspieler, vor ihm

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