Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
stehen.
»Abe ist Anwalt«, sagte Hephzibah. Treslove fand, dass sie ganz rot im Gesicht war und nervös wirkte angesichts der Aufmerksamkeit so vieler Männer. Ihre Gestalt gewordene Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft …
»Wieso überrascht es Sie, Hep hier zu sehen?«, fragte Treslove und steckte damit einen Besitzanspruch ab, den ein Mann mit größerem Selbstbewusstsein längst für geklärt gehalten hätte.
Abe gloste wie die Glut eines gerade erloschenen Vulkans. »Nicht unbedingt ein Stück, das ihr liegt«, erklärte er.
»Liegt mir denn irgendwas besonders?«, wollte Hephzibah wissen.
Keck, fand Treslove, der alles registrierte.
»Na ja, so was jedenfalls nicht.«
»Hast du von meinem Museum gehört?«
»Hab ich.«
»Dann sollte es dich nicht wundern, dass ich mit dem Ohr am Puls der Zeit bleiben muss.«
»So tief bräuchtest du deshalb aber nicht gleich zu sinken«, warf Finkler ein.
Das erstaunte Treslove. »Willst du behaupten, es hätte dir nicht gefallen?«
Hephzibah ging es ähnlich. »Wie interessant.«
Darauf also war er aus, sagte sich Treslove, er wollte Hephzibahs Interesse wecken.
Finkler wandte sich an Abe. »Julian und ich sind zusammen zur Schule gegangen«, sagte er, »deshalb glaubt er zu wissen, was mir gefällt.«
Treslove wehrte sich. »Du gehörst zu den ASCHandjiddn, markierst bei ihnen Sam, den Mann. Das Stück musste dir einfach gefallen. Es ist wie für dich geschrieben. Es hätte von dir geschrieben sein können. Ich habe dich fast reden hören.«
»Solche Worte wären mir nie über die Lippen gekommen, weil ich für Nazi-Analogien nichts übrig habe. Die Nazis waren die Nazis. Aber habe ich denn behauptet, es hätte mir nicht gefallen? Ich liebe das Stück. Von mir aus hätte es nur noch mehr Tanz und Gesang geben können. Deshalb ist meine einzige Kritik, dass kein Hit wie in Frühling für Hitler vorkommt. Ich konnte bei der Musik nicht mit den Füßen wippen. Anders gesagt, hast du irgendwen gesehen, der beim Rausgehen Wagner gesummt hätte?«
»Geht es dabei für dich denn um eine Geschmacksfrage?«, wollte Treslove wissen. »Nur damit wir uns richtig verstehen.«
»Für dich nicht?«
»Nicht im musikalischen Sinne, nein.«
Finkler legte einen Arm um ihn. »Weißt du«, sagte er, »ich glaube, ich überlasse das Gespräch lieber euch und besorge uns noch eine Runde Getränke. Abe?«
Abe trank nicht. Zumindest nicht an diesem Abend. Weil er gewissermaßen gerade arbeite, wie er erklärte.
»Machst du doch immer«, sagte Hephzibah, die Privilegien einer Ex in Anspruch nehmend.
»Und was arbeiten Sie?«, fragte Treslove.
»Na ja, eigentlich sehe ich mir nur das Stück an und sammle anschließend Reaktionen. Einer der Co-Autoren ist ein Klient.«
»Und du bist hier, um zu prüfen, ob er Klage erheben und vom jüdischen Volk Schadensersatz fordern kann?«, fuhr Hephzibah fort und drückte seinen Arm. Treslove spürte, dass ihm ein Blick auf ihre vergangene Ehe gestattet worden war, und wünschte sich, er wäre ihm erspart geblieben.
Mit zwei Glas hatte Hephzibah nicht nur ihre Jahresmenge an Wein, sondern nun auch noch ihr jährliches Kontingent für kecke Bemerkungen überzogen.
»Na ja, wenn Sie hier sind, um Reaktionen zu sammeln, sage ich Ihnen gern meine Meinung«, sagte er, hinkte aber dem Gespräch hinterher und fand keine Beachtung.
»Abe hat schon immer gewusst, wie man auch noch den letzten Penny aus einem Angeklagten herausholt«, erzählte Hephzibah.
»Ganz so ist nicht«, sagte Abe.
»Wie denn? Klagt das jüdische Volk etwa Ihren Klienten an?«
»Nein, es geht nicht um die Juden. Und auch nicht ums Geld. Der Fachbereich seiner Universität hat ihn entlassen. Wenn er gerade keine Theaterstücke schreibt, ist er nämlich Meeresbiologe, und er war unter Wasser, als man ihn entlassen hat. Ich versuche, ihm seine Stelle wieder zu beschaffen.«
»Man hat ihn wegen des Theaterstücks entlassen?«
»Nicht direkt, sondern weil er behauptet hat, Auschwitz sei für die meisten Juden keine Hölle, sondern eher eine Art Ferienlager gewesen.«
»Und wenn es keine Hölle gibt, gibt es auch keinen Teufel – läuft es darauf hinaus?«
»Zu seiner Theologie kann ich nichts sagen. Er erklärt jedenfalls und behauptet, es zweifelsfrei beweisen zu können, dass es auf dem Gelände Kasinos, Bäder und Prostituierte gab. Er hat Fotos von Juden, die im Swimmingpool liegen und von Lagerhostessen mit geeisten Erdbeeren gefüttert werden.«
Hephzibah brach
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