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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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einmal in Finklers Augen.
    Er hatte zu keiner Zeit Verständnis für Tylers jüdische Bestrebungen gezeigt. Er musste mit keiner Jüdin verheiratet sein. Er war Jude genug für sie beide, zumindest der Herkunft nach, und hatte »von mir aus« gesagt, als sie ihm von ihren Plänen erzählte. Er nahm an, dass sie eine jüdische Hochzeit wollte. Welche Frau will keine jüdische Hochzeit? Von mir aus.
    Also machte sie sich auf, mit den Rabbis zu reden, und als sie ihm sagte, sie habe sich für den Weg der Reformisten entschieden, nickte er, ohne ihr zuzuhören. Ebenso gut hätte sie ihm eine Busroute beschreiben können. Es würde etwa ein Jahr dauern, sagte sie, möglicherweise länger, da sie keine Vorkenntnisse besaß. Von mir aus, erwiderte er. Lass dir alle Zeit der Welt. Das sagte er nicht, weil er so mehr Zeit für seine Affären hatte. Sie waren noch nicht verheiratet – Tyler wollte ihr Jawort erst geben, wenn sie Jüdin war –, folglich lagen Affären noch in der Zukunft. Er nahm es da sehr genau. Er fing keine Affäre an, ehe er nicht verheiratet war. Eine andere Frau, das ja, aber keine Affäre. Er war Philosoph, für ihn kam es auf die präzise Wortwahl an. Es gab also kein Motiv für seine Gleichgültigkeit. Er konnte sich auf Tylers Bemühungen um die jüdische Glaubenslehre nicht einlassen, weil sie ihn schlicht und einfach nicht die Spur interessierten.
    Vierzehn Monate lang ging sie einmal in der Woche zum Unterricht. Er nahm an, dass sie Hebräisch lernte und dass man ihr weiß Gott was über die Bibel erzählte, ihr sagte, was sie nicht essen, was sie nicht anziehen, was sie nicht sagen dürfe, ihr beibrachte, einen jüdischen Haushalt zu führen und eine jüdische Mutter zu sein, dass man sie dem Rat der Rabbis vorführte, sie
(auf ihr Drängen hin) mit dem Kopf unter Wasser tauchte – und siehe da!, er hatte eine jüdische Braut. Er hörte ihr nicht zu, wenn sie Woche für Woche heimkam und ihm erzählte, was sie gelernt hatte. Sein Leben war viel interessanter. Er nickte, wartete, bis sie fertig war, und sagte dann, er habe sich mit einem Verleger getroffen. Er hatte zwar noch kein Buch geschrieben, meinte aber, einen Verleger zu brauchen. Er war auf dem Weg nach oben. Man wurde auf ihn aufmerksam. Sie wollte einen Moses, der sie ins Gelobte Land führte? Er war dieser Moses. Sie brauchte ihm nur zu folgen.
    Er nahm so wenig Notiz von ihrem Unterricht, dass er selbst dann nichts davon mitbekommen hätte, wenn sie eine Affäre mit einem der Rabbis angefangen hätte. So etwas kam vor. Auch Rabbis waren Menschen aus Fleisch und Blut. Und Unterrichten war … nun, Finkler wusste genau, was es mit dem Unterrichten auf sich hatte.
    Er hätte ihr die Affäre gegönnt. Nun, da sie tot war, wünschte er sich, sie hätte ein besseres Leben als jenes gehabt, das er ihr bieten konnte. Kein Gatte ist je großzügiger als dann, dachte er, wenn er zum Witwer wird. Eine Einsicht, die einen Artikel lohnen könnte.
    Vermutlich war ihr in diesem Religionsunterricht vom jüdischen Bestreben erzählt worden, ein »Licht den Heiden« zu sein. Hatten sie – hatte der seiner Wunschvorstellung zufolge in sie verliebte Rabbi, der sie hoffentlich heimlich in koschere Restaurants eingeladen und ihr gezeigt hatte, wie man Lokschen-Auflauf aß – hatte er ihr gezeigt, dass man bei Zitatangaben Kapitel und Vers in Klammern setzte?
    Arme Tyler.
    (Tyler Finkler 49 : 3), das Alter, in dem sie starb, und die Zahl der Kinder, die sie mutterlos zurückließ.
    Es brach ihm das Herz. Was aber nicht bedeutete, dass er unbedingt weiterlesen wollte. Ihre Schulkindbildung in Sachen
Judentum war das Letzte, was er von seiner Frau in Erinnerung behalten wollte. Er steckte den kurzen Artikel zurück in die Plastikhülle, hauchte einen Kuss darauf und verstaute den Karton unten im Kleiderschrank, dort, wo sie ihre Schuhe aufbewahrt hatte.
    Erst an jenem Abend, an dem er mit Hephzibah und Treslove in Söhne Abrahams gewesen war, kam er auf die Idee, erneut einen Blick darauf zu werfen. Er hätte keinen Grund dafür nennen können. Vielleicht fühlte er sich ohne sie einsam. Vielleicht sehnte er sich nach ihrer Stimme. Vielleicht brauchte er auch nur etwas, irgendetwas, das ihn davon abhielt, sich an den Computer zu setzen und Online-Poker zu spielen.
    Ihre Argumente hatten sich nicht geändert, doch war er ihr gegenüber nun zärtlicher gestimmt. Für einen Gatten kann es eine Weile dauern, bis er merkt, dass es sich lohnt, auf die Worte

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