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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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seiner Frau zu hören.
    Sie war auf ein Paradox gestoßen.
    (Ist das zu fassen? – Tyler war auf ein Paradox gestoßen! Es gibt so vieles, wozu eine Frau fähig ist, ohne dass ihr Mann etwas davon weiß!)
    Ihr Paradox lautete folgendermaßen:
    »Die Schamjuden, mit denen mein Mann seine Abende verbringt (falls er nicht gerade mit einer seiner Geliebten zusammen ist), machen es den Israelis und jenen, die sie ›zionistische Mitreisende‹ nennen, zum Vorwurf, dass sie einen moralischen Sonderstatus zu genießen glauben, der es ihnen gestattet, den Rest der Welt wie ein Stück Dreck zu behandeln, dabei beruht dieser Vorwurf selbst wiederum auf der Annahme, dass Juden einen moralischen Sonderstatus genießen und es folglich besser wissen sollten. (Weißt du noch, was du den Kindern gesagt hast, Schmuel, wenn sie sich darüber beschwerten, dass sie ausgeschimpft wurden, obwohl sie nichts anderes als das getan hatten, was auch die anderen Kinder taten? ›Für euch gelten
strengere Maßstäbe‹, hast du gesagt. Warum? Warum beurteilst du – gerade du – Juden nach strengeren Maßstäben?)«
    Ihr eigener »cleverer« Gatte hatte gesagt, der Staat Israjel – ein Staat, den er nicht beim Namen nennen konnte, ohne ein verächtliches Jeinzuflechten – sei durch einen Akt brutaler Landnahme gegründet worden. Für welchen Staat aber gilt das nicht, fragte Tyler und erwähnte die Indianer Nordamerikas sowie die australischen Ureinwohner.
    Finkler lächelte, als er sich Tyler vorstellte, wie sie sich, mit Schmuck und Pelzen behangen, Sorgen um die australischen Ureinwohner machte.
    Sie sehe es so …
    Diese Chuzpe! Sie sehe es so. Tyler Gallagher, die Enkelin irischer Kesselflicker, die mit acht Jahren in der Sonntagsschule einen Preis für ihr Bild gewonnen hatte, auf dem das Jesuskind mit Patschhändchen nach den Weihnachtsgeschenken griff, die ihm die Heiligen Drei Könige darbrachten. Sie also wollte ihm sagen, wie sie es sehe.
    Was auch immer ihr Mann dachte, sie sah es jedenfalls so.
    »Bei Pogrom um Pogrom zogen die Juden den Kopf ein und hielten aus. Gott hatte sie als die Seinen erwählt. Gott würde ihnen helfen. Der Holocaust – ja, ja, der schon wieder, Schmuel, der Holocaust, der Holocaust!!! –, der Holocaust sollte all das AUF IMMER ändern. Endlich begriffen die Juden, dass sie auf sich allein gestellt waren. Sie mussten für sich selbst sorgen. Und das hieß, sie brauchten ihr eigenes Land. Das hatten sie eigentlich schon, aber lass uns das jetzt nicht weiter vertiefen, Mr. Palästina. Sie mussten ihr eigenes Land haben; hatten sie aber ihr eigenes Land, würden sie sich ändern und nicht mehr so sein, wie sie waren, ehe sie ihr eigenes Land hatten. Sie würden werden wie jedermann! Du und deine Konsorten aber, ihr wollt sie nicht wie jedermann werden lassen, weil sie für dich, Schmuel, noch immer verpflichtet
sind, Gott zu gehorchen (an den du nicht glaubst!) und der Welt ein Beispiel zu sein!
    Erkläre doch deiner armen, ungebildeten Gattin, deiner Möchte-gern-Jüdin, warum du verdammter Mistkerl die Juden dieses Landes, das ich dich sogar Kanaan nennen hörte, nicht in Ruhe lassen kannst. Hast du Angst, von anderer Seite könnte Schlimmeres kommen, wenn du deine Kritik nicht frühzeitig anbringst? Lässt dich eine Art pervertierter Patriotismus Territorium verbrennen, das du zu verlieren fürchtest, damit es nicht in Feindeshand fällt?
    Und beantworte mir folgende Frage: Warum kümmerst du dich nicht um deinen eigenen Scheiß, Schmuel? Du wirst nicht mit den Israejelis über einen Kamm geschoren, wenn du es nicht willst. Du hast dein Land, sie haben ihres – eine Tatsache, die, um zu zitieren, was du an deinem Hochzeitstag sagtest, ›weder außergewöhnliches Mitgefühl noch außergewöhnliche Missbilligung‹ verlangt. Jetzt sind sie nur noch ganz gewöhnliche Arschlöcher, halb im Recht, halb im Unrecht, genau wie wir.
    Und selbst du, mein falscher, geliebter Mann, irrst dich nicht in allem.«
     
    Diesmal legte er den Artikel nicht gleich wieder zurück, sondern saß eine Weile da, das Blatt vor Augen. Arme Tyler. Was, wie er wusste, finklerisch für armer Samuel war. Sie fehlte ihm. Sie hatten sich endlos gestritten, doch war da stets auch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit gewesen. Nie hatte er die Hand gegen sie erhoben, sie nie gegen ihn. Immer hatten sie über alles geredet, der Klang ihrer Stimmen einander täglicher Quell uneingestandenen Vergnügens. Wie sehr wünschte er sich, jetzt

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