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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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es Tyler vermutlich getan hatte. Und nun auch Libor.
    Es wäre durchaus denkbar, dass dieses unerwünschte Geständnis einer der Gründe gewesen war, weshalb Libor sein Leben beendet hatte – so brauchte er die Verderbtheit seines Freundes nicht länger zu ertragen. Treslove hatte bemerkt, wie Libors Gesicht sich verdüsterte, als er mit diesen heimlichen Nachmittagen mit Finklers Frau – ja, nennen wir die Dinge beim Namen – geprahlt hatte; er hatte gesehen, wie das Licht in den Augen des alten Mannes erlosch. Diese Gemeinheit war für Libor zu viel gewesen. Treslove hatte die Geschichte einer langjährigen Freundschaft befleckt, besudelt, entweiht, hatte das trotz aller Unterschiede zwischen diesen drei Männern bestehende Vertrauen in eine Fiktion verwandelt, in eine Illusion, eine Lüge.
    Unrechtes greift um sich. Vielleicht hatte Treslove nicht bloß die Romantik ihrer Freundschaft besudelt, sondern die Idee des Romantischen schlechthin. War es erst um eine geliebte Illusion geschehen, was hielte die nächste zurück? Hatte Tresloves und Tylers Schandtat alles vergiftet?

    Nein, das allein hätte Libor nicht umgebracht. Aber wer wollte behaupten, sein Entschluss, am Leben bleiben zu wollen, sei nicht dadurch geschwächt worden?
    Treslove hätte Hephzibah dies alles gern gestanden und in ihren Armen um Absolution gefleht, doch hätte er ihr dazu erst von Tyler erzählen müssen, und das brachte er nicht fertig.
    Dabei ging es ihr selbst auch nicht besonders. Zwar war es Libor gewesen, der sie mit Treslove zusammengebracht hatte, doch hatte der seinerseits dafür gesorgt, dass Libor ihr immer wichtiger geworden war. Sie hatten früher schon eine gewisse Zuneigung füreinander gehegt, doch stehen Großgroßnichten ihren Großgroßonkeln nur selten nah. Seit sie aber mit Treslove zusammenlebte, war diese alte, ein wenig förmliche Zuneigung zu einer Liebe erblüht, die es ihr schließlich unmöglich machte, sich eine Zeit ins Gedächtnis zu rufen, in der Libor nicht bei ihr oder in ihrer Nähe gewesen war, um sie an Tante Malkie zu erinnern und dafür zu sorgen, dass ihr die Liebe zu Julian wie eine Familienangelegenheit vorkam. Da sie zugelassen hatte, dass andere Sorgen ihre ganze Aufmerksamkeit erforderten, machte Hephzibah sich nun gleichfalls Vorwürfe. Sie hätte besser auf Libor achtgeben müssen.
    Diese anderen Sorgen aber ließen ihr keine Ruhe. Der Gedanke an die Ermordung der arabischen Familie im Bus war kaum zu ertragen. Hephzibah kannte niemanden, der nicht entsetzt gewesen wäre. Sie empfand Entsetzen über das, was den Arabern angetan worden war. Fühlte Entsetzen mit den Arabern. Und ja, auch Entsetzen angesichts der möglichen Folgen. Allerorten wurden Juden als blutrünstige Monster präsentiert, wie immer man die Geschichte des Zionismus auch erklärte – ob blutrünstig von Beginn an, da anderen Menschen das Land genommen wurde, oder blutrünstig erst in der Folge jener Ereignisse, durch die ihnen nach und nachjedes Mitgefühl abhanden kam –, doch bejubelte kein Jude das Ende dieser arabischen
Familie, weder auf den Straßen noch daheim in der Stille ihrer Häuser; nirgendwo trafen sich jüdische Frauen an den Brunnen, um lauthals ihrer Freude Ausdruck zu geben, noch gingen jüdische Männer in die Synagoge, um dem Allmächtigen zum Dank zu tanzen. Du sollst nicht töten. Was sie auch sagten, diese Verleumder und Agitatoren, die Juden als Rassisten mit Herrschaftsanspruch brandmarkten: »Du sollst nicht töten« stand jedem Juden ins Herz geschrieben.
    Auch jüdischen Soldaten?
    Nun, Meyer Abramsky war kein jüdischer Soldat. Er machte ihrem moralischen Empfinden nicht im Mindesten zu schaffen. Schade nur, dass man ihn zu Tode gesteinigt hatte. Sie hätte ihn gern verurteilt gesehen, Tausende Male von Juden für schuldig befunden. Er ist keiner von uns.
    Und dann von jenen zu Tode gesteinigt, deren moralischen Charakter er besudelt hatte.
    Natürlich würde man irgendwann ihm zu Ehren ein Denkmal errichten. Die Siedler brauchten Helden. Wer waren diese Leute? Woher kamen sie so plötzlich? Nach Herkunft und Bildung waren sie Hephzibah fremd. Sie hatten nichts mit dem Judentum zu tun, wie Hephzibah es kannte. Sie waren Kinder einer universellen Unvernunft, vom selben Stamme wie die Selbstmordattentäter und all die übrigen Anhänger von Endzeit, Tod und Apokalypse, nicht aber die Kinder Abrahams, dessen Namen sie entehrten. Aber das versuche man jenen zu erklären, die erneut durch die

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