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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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war, um ein Grab auszuheben, das tief genug für sie beide gewesen wäre. Außerdem, hatte Malkie gescherzt, würden sie sich ja sowieso bloß darüber streiten, wer oben liegen durfte. Also ruhten sie ganz demokratisch Seite an Seite in ihrem breiten, schmucken Doppelbett.
    Hephzibah machte ihnen ein Zeichen, dass sie und ihre Familie gehen wollten. Im verschleierten, tuchverhangenen Schwarz sah sie einfach wunderbar aus, fand Treslove, wie eine viktorianische Witwe. Ein majestätisches Relikt. Treslove gab ihr zu verstehen, dass sie noch eine Weile bleiben würden. Die beiden Männer hakten sich unter; Treslove war froh über diese Stütze. Er fürchtete, seine Beine könnten unter ihm nachgeben. Für Friedhöfe war er einfach nicht geschaffen. Sie sprachen ihm allzu lebhaft vom Ende der Liebe.
    Hätte er sich umgeschaut, hätte ihn der Mangel an beredten Statuen überrascht. Ein jüdischer Friedhof ist ein öder, stummer Ort. Als gäbe es, hatte man es einmal hierher geschafft, nichts mehr zu sagen. Trotzdem richtete Treslove den Blick zu Boden und hoffte, nichts zu sehen.
    Wortlos wie Grabsteine standen die beiden Männer beisammen. »Zu welch schnöden Bestimmungen wir kommen«, sagte Finkler nach einer Weile.

    »Tut mir leid«, erwiderte Treslove. »Ich kann nicht mitspielen. Heute nicht.«
    »Na schön, war auch nicht respektlos gemeint.«
    »Ich weiß«, sagte Treslove. »Das habe ich auch nicht angenommen. Mir ist klar, dass du ihn ebenso geliebt hast wie ich.«
    Schweigen breitete sich aus. Dann fragte Finkler: »Und? Was hätten wir anders machen können?«
    Treslove war überrascht. Diese Art Fragen waren eigentlich sein Metier.
    »Wir hätten besser auf ihn aufpassen können.«
    »Hätte er uns gelassen?«
    »Hätten wir es getan, wie es sich gehört, hätte er nichts davon bemerkt.«
    »Eigenartig«, sinnierte Finkler, »aber mir war, als hätte er uns verlassen.«
    »Na ja, das hat er ja wohl auch.«
    »Früher schon.«
    »Früher? Wann denn?«
    »Als Malkie starb. Findest du nicht, dass es auch mit ihm irgendwie zu Ende ging, als Malkie starb?«
    Treslove dachte darüber nach. »Nein, finde ich überhaupt nicht«, sagte er. Für Treslove war der Tod einer Frau ein Anfang. Er war für die Trauer geschaffen und hatte sich stets als jemand gesehen, der vor Gram gebeugt war, so wie der alte Thomas Hardy, der noch einmal an die leidvollen Stätten der Liebe zurückkehrte. Wenn überhaupt, dann war ihm Libor nach Malkies Tod eher eine Spur zu energisch gewesen. Er selbst wäre anders aufgetreten, aufgewühlter, von Schmerz zerrissen. »Ich fand«, fuhr er fort, »dass er uns verließ, als ich Hephzibah kennenlernte.«
    »Und du wirfst mir Grandiosität vor? Glaubst du etwa, er hätte seitdem gedacht, seine irdische Aufgabe sei erledigt?«
    Wenn Finkler das schon für Grandiosität hielt, was würde er erst sagen, wenn er herausbekäme, dass Treslove der Meinung
war, Libor habe sich umgebracht, weil er über seine Affäre mit Tyler Bescheid wusste. Nicht dass er es je herausbekommen würde. Es sei denn, er wusste es schon längst.
    »Nein, natürlich nicht. Doch mein Neuanfang, sofern es einer war« – warum habe ich das gesagt, wunderte sich Treslove, warum die Einschränkung? –, »mein Neuanfang mit Hephzibah hat ihn vielleicht auf den Gedanken gebracht, dass es für ihn keine Anfänge mehr gab.«
    »Dann hätte er sich häufiger an mich wenden sollen«, sagte Finkler. »Was fehlende Anfänge angeht, hätte ich mit ihm mithalten können.«
    »Ach, hör schon auf.«
    »Was heißt hier: Hör schon auf? Mit dir hätten wir uns nicht messen können. Dein Neuanfang war ein Ende aller Anfänge. Du bist kein Witwer, bist nicht mal geschieden. Du hast von Grund auf neu angefangen. Eine neue Frau, eine neue Religion. Libor und ich dagegen, wir waren Tote mit einem toten Glauben. In zweierlei Hinsicht hast du uns unsere Seelen abgenommen. Viel Glück damit. Wir hatten für sie keine Verwendung mehr. Nur kannst du jetzt nicht so tun, als wären wir drei je eins gewesen. Wir waren doch nicht die drei Musketiere. Wir sind gestorben, Julian, damit du leben kannst. Falls dir dieser Gedanke an diesem Ort nicht zu christlich ist. Sag du’s mir.«
    »Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass du nicht tot bist, Sam.«
    Oder doch? Sam, der tote Mann? Treslove wagte es nicht, vom Boden zu seinem Freund aufzublicken. Er hatte ihn nicht angesehen, seit sie hergekommen waren, hatte nichts und niemanden gesehen – Hephzibah

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