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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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geschlagen worden – egal von wem. Da er sich weder Sport anschaute noch sich im Mindesten dafür interessierte, darf es wohl als ziemlich ungewöhnlich gelten, dass sein anhaltendes Gefühl enttäuschenden Versagens eine Möglichkeit gefunden hatte, sich mit selbigem Gefühl der nationalen Cricketmannschaft zu liieren. Ähnliches gelang ihm beim Tennis, beim Fußball, mit Boxern, gar mit Billardspielern. Als ein virtuoser, nervöser Südlondoner namens Jimmy White die letzte Runde
der World Snooker Championship mit sieben Frame Vorsprung erreichte – acht waren noch zu spielen – und es dennoch schaffte, an diesem Abend als Verlierer dazustehen, verkroch sich Treslove tief betrübt in sein Bett und erwachte am nächsten Morgen mit gebrochenem Herzen. Interessierte er sich für Snooker? Nein. Bewunderte er Jimmy White und wünschte ihm den Sieg? Nein. Doch in Whites demütigender Kapitulation vor den Göttern des Versagens erkannte Treslove irgendwie das eigene Scheitern. Es war daher durchaus nicht unwahrscheinlich, dass White den Tag nach seiner unermesslichen Niederlage mit Freunden verbrachte, lachte, scherzte, aller Welt einen Drink ausgab und weit bessere Laune hatte als Treslove.
    Wie seltsam daher, dass Treslove am Morgen nach diesem demütigenden Überfall mit dem ihm so fremden Gefühl einer Art von Fröhlichkeit erwachte. War es das, was seinem Leben die ganze Zeit gefehlt hatte – ein spürbarer Verlust, der sein entsprechendes, bis dahin aber grundloses Gefühl rechtfertigte? Der Diebstahl von realem Besitz statt allein dem permanent bohrenden Wissen darum, dass etwas fehlte? Ein objektives Korrelat, wie T. S. Eliot es in seinem blöden Essay über Hamlet nannte (Treslove hatte eine Zwei minus – aufgewertet zu einer Eins mit Sternchen – für seine Arbeit über T. S. Eliot bekommen), als hätte Hamlet, um seine Gefühle wie ein Schurk’ und niederer Sklav’ erklären zu können, nur jemand gefehlt, der ihn um seine Wertsachen erleichterte.
    In der Schule hatte er sich mit Finkler endlos Hamlet -Zitate zugeworfen. Es war das einzige literarische Werk, das ihnen beiden zur selben Zeit gefiel. Finkler hatte für Literatur nicht viel übrig. In seinen Augen war sie der Vernunft nur begrenzt zugänglich. Außerdem fehlte ihr jeder praktische Nutzen. Mit Hamlet aber konnte er was anfangen. Da Treslove nicht wusste, dass Finkler seinen Vater umbringen wollte, war ihm das nie so recht begreiflich gewesen. Ihm selbst gefiel das Stück ja
nicht deshalb, weil er seine Mutter umbringen wollte, sondern wegen Ophelia, der Schutzheiligen aller Wasserfrauen. Jedenfalls umwoben die beiden Jungen ihre Freundschaft mit Zitaten aus Hamlet, so unterschiedlich die Gründe dafür auch sein mochten. »Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, Samuel, als Eure Schulweisheit sich träumt«, sagte Treslove, wenn Finkler keine Lust auf eine Party hatte, da er nichts davon hielt, sich zu besaufen. »Ach, komm, das wird ein Mordsspaß.« Was Finkler natürlich mit der Antwort quittierte, dass er seit Kurzem, er wisse nicht, wodurch, all seine Munterkeit verloren habe.
    Woraufhin er dann gewöhnlich seine Meinung änderte und zur Party ging.
    Soweit es ihn selbst betraf, war sich Treslove diese vielen Jahre später nicht mehr sicher, ob es für ihn eine gleichsam natürliche Munterkeit zurückzugewinnen gab. Er hatte schon ewig keine gute Laune mehr gehabt und war auch jetzt nicht gerade bester Dinge. Dennoch fühlte er sich momentan zweifellos entschlossener als seit vielen Jahren, auch wenn ihm unerklärlich blieb, wie das möglich sein konnte. Eigentlich hätte er nämlich von sich erwartet, dass er heute im Bett liegen bleiben und nicht mehr aufstehen würde. Von einer Frau ausgeraubt! Für einen Mann, dessen Leben eine Abfolge absurder Blamagen war, musste dies der Schande die Krone aufsetzen. Aber so war es nicht.
    Und dies trotz der unangenehmen körperlichen Nebenwirkungen des Überfalls. Knie und Ellbogen taten weh; um die Augen breiteten sich hässliche blaue Flecke aus. Es schmerzte, durch die Nase einzuatmen. Doch da draußen wehte frische Luft, und er war begierig, sie einzuatmen.
    Er stand auf, öffnete die Vorhänge und zog sie wieder zu. Da gab es nichts zu sehen. Er lebte in einer kleinen Wohnung in einer Gegend Londons, die Leute, die sich Hampstead nicht leisten konnten, Hampstead nannten, aber da es nicht Hampstead war, konnte er auch keine Hampsteader Heide sehen. Finkler sah
Heide satt. Heide aus

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