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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Juden genannt.«
    »Und du glaubst, ich bin der einzige Jude in London, mit dem sie dich verwechseln konnte?«
    »Wir waren kurz vorher noch zusammen.«

    »Zufall. Die Frau ist bestimmt ein antisemitischer Serientäter und nennt jedes ihrer Opfer einen Juden. Ist doch so ein Sammelwort, das ihr Gojim für alle benutzt, für die ihr nicht viel übrighabt. In der Schule haben wir es ›jüdeln‹ genannt (du bestimmt auch), wenn man sich nahm, was einem nicht gehörte, denn das seht ihr, wenn ihr einen Juden seht – einen Dieb oder einen Geizhals. Vielleicht hat sie dir den Juden nur zurückgegeben. ›Selber Jude‹ – könnte sie das gesagt haben? ›Selber Jude‹ im Sinne von: Wie du mir, so ich dir?«
    »Nein, sie hat ›du Jud‹ gesagt.«
    »Dann hat sie sich geirrt. Es war dunkel.«
    »Es war hell.«
    »Du hast gesagt, es sei dunkel gewesen.«
    »Nur um dich einzustimmen.«
    »Was irreführend war.«
    »Nenn es poetisch. Es war dunkel in dem Sinne, dass es schon spät war, und hell in dem Sinne, dass Straßenlampen brannten.«
    »So hell, dass du unübersehbar kein Jude warst?«
    »So hell wie hier. Sehe ich wie ein Jude aus?«
    Finkler stimmte sein großes Fernsehgelächter an. Treslove wusste genau, dass er in Wirklichkeit niemals lachte – als Tyler noch lebte, hatte sie sich oft darüber bek lagt, einen Mann geheiratet zu haben, der nicht lachen konnte –, doch wenn er im Fernsehen zeigen wollte, was für ein Gemütsmensch er war, konnte er laut brüllen vor Lachen. Treslove fand es erstaunlich, dass ihm auch nur ein einziger der vielen Hunderttausend Zuschauer dieses Lachen abnahm.
    »Fragen wir den Saal«, sagte Finkler, und einen schrecklichen Moment lang dachte Treslove, er würde genau das tun. Heben Sie die Hand, wenn Sie glauben, dass dieser Mann ein Jude ist oder für einen solchen gehalten werden könnte. Das wäre schließlich eine Möglichkeit, all jene auf Finkler aufmerksam zu machen, die noch nicht wussten, dass er da war.

    Treslove lief rot an, zog den Kopf ein und dachte, dass ihn genau diese schüchterne Reaktion als Nicht-Juden brandmarkte. Wer hätte auch schon je von einem schüchternen Juden gehört?
    »So, jetzt weißt du alles«, sagte er, als er endlich den Mut fand, seinen Kopf wieder zu heben. »Und nun? Was rät mir Wittgenstein? «
    »Dass du den Kopf aus deinem Arsch ziehst. Und auch aus meinem und dem von Libor. Okay – du bist überfallen worden. So was ist nicht nett. Und du warst bereits in einer ziemlich aufgewühlten Verfassung. Ist wahrscheinlich nicht gesund, dass wir drei uns treffen. Zumindest nicht für dich. Wir haben unsere Gründe. Wir trauern. Du nicht. Und falls doch, solltest du es nicht tun. Das ist verdammt morbide, Julian. Du kannst nicht so sein wie wir. Du solltest auch nicht so sein wie wir.«
    »Ich will ja gar nicht so sein wie du.«
    »Irgendwie doch. Ich will es mal nicht zu hart formulieren, aber es hat immer schon etwas an uns gegeben, das du für dich haben wolltest.«
    »Uns? Seit wann sind du und Libor denn uns?«
    »Eine ziemlich taktlose Frage. Du weißt genau, seit wann. Aber jetzt reicht dir das nicht mehr. Jetzt willst du noch mehr von uns. Jetzt willst du Jude sein.«
    Treslove hätte sich fast an seinem Tee verschluckt. »Wer behauptet denn, dass ich Jude sein will?«
    »Du. Worum sollte sich das Ganze denn sonst drehen? Hör mal, du bist nicht der Einzige. Es gibt eine Menge Leute, die Juden sein möchten.«
    »Na ja, du aber nicht.«
    »Fang nicht damit an. Du klingst schon wie Libor.«
    »Sam – Samuel –, achte genau auf das, was ich dir jetzt sage: Ich-will-kein-Jude-sein. Okay? Ich habe nichts gegen Juden, aber ich will bleiben, was ich bin.«

    »Weißt du noch, wie du dir gewünscht hast, dass mein Vater dein Vater wäre?«
    »Damals war ich vierzehn! Und mir gefiel, wie er mich aufgefordert hat, ihm in den Bauch zu boxen. Vor allem, weil ich Schiss davor hatte, meinen eigenen Vater auch nur an die Schulter zu fassen. Aber mit Jüdischsein hatte das nichts zu tun.«
    »Na gut, nur was bist du?«
    »Wie bitte?«
    »Du hast gesagt, du möchtest bleiben, was du bist, also was bist du?«
    »Was ich bin?« Treslove starrte die Decke an. War das eine Fangfrage?
    »Ganz genau. Du weißt nämlich nicht, was du bist, und deshalb willst du Jude sein. Demnächst trägst du noch Schläfenlocken und sagst mir, dass du dich freiwillig zur israelischen Armee gemeldet hast, um Kampfjets gegen die Hamas zu fliegen. Das, Julian, ich sage es

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