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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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geweint, nur ein einziges Mal; der Vorfall hatte sich ihm tief eingebrannt, nichts Gefühlsduseliges, nein, nichts Dergleichen, aber die Tränen seines Vaters waren so heiß gewesen, der Griff so fest, mit dem er Tresloves Kopf an sich presste, die Hände ins Haar gekrallt, der Kummer so unbändig,
die Trauer so heftig, dass Treslove gefürchtet hatte, ihm würde der Schädel platzen.
    Er hoffte, seinen Söhnen eine solch schreckliche Erfahrung zu ersparen. Treslove und seinem Vater blieb danach kein Ausweg mehr, da sie von diesem Moment an miteinander verschweißt waren und den Rest ihres Lebens entweder wie zwei ertrinkende, sich in erstarrter Trauer umklammernde Schwimmer verbringen würden, oder sie wandten sich voneinander ab und versuchten, solche Momente der Nähe künftig zu meiden. Wortlos entschieden sie sich für letzteren Weg.
    Doch außer wie ein gefallener Gott an seiner Kinder Brust zu weinen oder ihnen wie ein Fremder derb die Hand zu schütteln, musste es, dachte Treslove, noch etwas anderes geben, etwas dazwischen, nur fand er es nicht. Rodolfo und Alfredo waren seine Söhne, sie dachten manchmal sogar daran, ihn Vater zu nennen, trotzdem ängstigte sie alle drei jede Andeutung größerer Vertraulichkeit. Nähe war mit einem Tabu belegt, fast wie Inzest. Na ja, das ließ sich erklären, und vermutlich war es richtig so. Wenn man die eigenen Kinder nicht aufzog, konnte man schließlich kaum erwarten, dass sie einen an ihrer Schulter ausweinen ließen.
    Er war sich zudem nicht sicher, ob er ihnen wirklich einen Moment der Scham und Schwäche eingestehen wollte, gar einen Augenblick des Aberglaubens und wilder Vermutungen. War es möglich, dass sie ihn bewunderten – ihren unnahbaren, attraktiven Vater, den man mit Brad Pitt verwechseln konnte und der mit diesem Privileg sein Geld verdiente? Er wusste es nicht. Für den unwahrscheinlichen Fall aber, dass es zutraf, war er nicht bereit, ihre Bewunderung aufs Spiel zu setzen, indem er ihnen erzählte, dass er mitten in der Stadt bei fast taghellem Licht von einer Frau ausgeraubt worden war. Er kannte sich in Sachen Familienleben nicht besonders gut aus, nahm aber an, dass kein Sohn so etwas von seinem Vater hören wollte.

    Gut an dem Ganzen war, dass er selbst zu den besten Zeiten nur selten mit ihnen gesprochen hatte, weshalb sie seinem Schweigen keine Bedeutung beimessen würden. Soweit sie ein Familienleben kannten, wussten sie, dass ein Vater jemand war, von dem man nur selten zu hören bekam.
    Nachdem Treslove sich einige Zeit zum Nachdenken gelassen hatte – wenn es etwas zu tun galt, war er kein voreiliger Mensch, sofern es nicht gerade um Heiratsanträge ging –, lud er Finkler zum Nachmittagstee ein, ein alter Brauch, der noch auf ihre Schulzeit zurückging. Scones mit Marmelade in Haverstock Hill. Finkler schuldete ihm ein Treffen, da er ihn letztes Mal versetzt hatte. Beschäftigter Mann, dieser Finkler. Unser Mann Sam. Und Treslove schuldete ihm eine Warnung, falls es wirklich jemand auf Finkler abgesehen hatte – so abwegig das auch klang, wenn er es in Worte fasste. Außerdem war Finkler ein Finkler, und Treslove ging es um Finklerisches.
    6
    »Gut möglich, dass es jemand auf dich abgesehen hat«, sagte Treslove, während er den Tee einschenkte, da er beschlossen hatte, gleich zu Anfang damit herauszurücken.
    Aus irgendeinem Grund war immer er derjenige, der den Tee einschenkte. Er konnte sich nicht erinnern, dass Finkler in den mehr als dreißig Jahren, seit sie sich zum Tee trafen, jemals für ihn eingeschenkt oder bezahlt hatte.
    Darüber verlor er kein Wort. Er konnte nichts sagen. Nicht, wenn er nicht wollte, dass er zu hören bekäme, er würde seinen Freund in eine Schublade stecken.
    Sie waren bei Fortnum & Mason. Treslove gefiel es hier, weil man altmodische Käseschnitten und Appetithappen bekam, und Finkler gefiel es, weil man ihn hier kannte.

    »Auf mich abgesehen? In kritischer Hinsicht, meinst du? Das ist doch nichts Neues. Meine Kritiker haben es ständig auf mich abgesehen.«
    Davon träumte Finkler, von Kritikern, die es auf ihn abgesehen hatten. Dabei wollte niemand Finkler angreifen, höchstens Treslove, der aber zählte nicht, und vielleicht noch die Stra-ßenräuberin, die aus Versehen ihn erwischt hatte. Nur dürfte sie wohl weder künstlerische noch philosophische Gründe für ihren Überfall gehabt haben.
    »So meine ich ›auf dich abgesehen‹ nicht«, sagte Treslove.
    »Wie dann?«
    »Eher in diesem

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