Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
kennengelernt, sie hatte ihm leidgetan. Die bestaussehenden Frauen bei der BBC waren Jüdinnen, doch fehlte ihm in jenen Tagen der Mut, eine Jüdin anzusprechen. Teilweise, aber nur teilweise, tat sie ihm auch deshalb leid, weil sie weder die Hautfarbe noch das Selbstvertrauen der BBC-Jüdinnen besaß. Schließlich war sie, wie sie selbst zugab, ziemlich mager, hatte aber die stämmigen Beine einer weit kräftigeren Frau, worauf sie mit Spinnennetzstrumpfhosen aufmerksam machte. Zudem besaß sie eine Vorliebe für durchsichtige Blusen, die es Treslove zu sehen erlaubten, dass sie einen Büstenhalter trug, der für eine Frau mit doppelt so großen Brüsten gedacht war, und dazu mindestens noch eine Art Hemd, das seines Wissens Unterkleid genannt wurde, zu dem seine Mutter aber, wenn er sich recht erinnerte, Leibchen gesagt hätte. Als Treslove ihr bei einer Preisverleihung gegenübersaß – sie erhielt den Sony Radio Academy Award für eine Sendung über die männliche Menopause –, zählte er, der noch nie eine Auszeichnung für irgendwas erhalten hatte, auf jeder Schulter fünf Träger. Sie wurde rot, als sie den Preis entgegennahm, und hielt eine kurze Rede darüber, wie man ein Floß voller Ideen entlud, ein Bild, das Leute bei der BBC benutzten, wenn sie einen Gedanken hatten – so wie sie auch jedes Mal rot wurde, wenn Treslove sie auf dem Flur oder in der Kantine ansprach; ihre Haut war noch Stunden später fleckig. Treslove wusste, wie beschämend es war, rot zu
werden, und lud sie ein, sich vor der Welt zu verstecken, indem sie ihr Gesicht an seiner Schulter barg.
»Es ist das Beschämende, das uns menschlich macht«, flüsterte er ihr ins stumpfe Haar.
»Wer schämt sich denn?«
Er tat das einzig Anständige und antwortete: »Ich.«
Sie bekam sein Kind, fest entschlossen und ohne ihm ein Wort davon zu sagen. Außer seinen gleichmäßigen Gesichtszügen sprach nichts dafür, dass er der Vater ihres Kindes sein sollte. Warum sie es trotzdem wollte, konnte sie nicht sagen. Warum überhaupt ein Kind? Die Erklärung, sie könne den Gedanken an eine Abtreibung nicht ertragen, war so gut wie jede andere. Außerdem kannte sie viele alleinerziehende Frauen. Das lag damals in der Luft, alleinerziehende Mütter waren angesagt. Aus ähnlichen Gründen hätte sie es auch mit einem lesbischen Leben versuchen können, allerdings wäre sie da zum letzten Schritt ebenso wenig in der Lage gewesen wie bei einer Abtreibung.
Gehässigkeit mochte ebenfalls als Erklärung dienen. Sie bekam Tresloves Kind, um ihn zu bestrafen.
Treslove verliebte sich in Janice, als er damit rechnete, von der stinkwütenden Josephine vor die Tür gesetzt zu werden, falls es nicht genau anders herum gewesen war. Die Frauen hatten recht, sie waren sich ähnlich. Tresloves Frauen glichen sich alle ein wenig; ihre neurasthenische Blässe weckte sein Mitleid, ebenso die Tatsache, dass sie stets irgendwie aus dem Takt zu sein schienen, nicht bloß beim Tanzen – sie waren allesamt schlechte Tänzerinnen – , sondern auch in ihrer Unfähigkeit, sich halbwegs zeitgemäß auszudrücken oder doch wenigstens zwei zueinander passende Kleidungsstücke auszuwählen. Dabei nahm er sie durchaus wahr, die robusten, redegewandten, gut angezogenen Frauen, nur sah er einfach keine Möglichkeit, wie er das Leben für sie besser machen könnte.
Oder sie für ihn, bedachte man, welch geringe Wahrscheinlichkeit robuste Frauen auf ein vorzeitiges Ableben boten.
Janice besaß ein Paar Stiefel, die sie zu allen Jahreszeiten trug und mit Tesafilm flickte, sooft sie auseinanderzufallen drohten. Zu den Stiefeln trug sie einen fadenscheinigen Zigeunerrock undefinierbarer Farbe, jedenfalls in Treslove Augen, und eine graublaue Strickjacke mit extralangen Ärmeln, als wollte sie ihre Fingerspitzen vor Kälte schützen. Janice hatte bei jedem Wetter kalte Hände und Füße, wie ein Waisenkind in einem viktorianischen Roman, sagte sich Treslove. Sie stand in keinem Beschäftigungsverhältnis mit der BBC, auch wenn Treslove fand, dass sie sich bemerkenswert gut in die Reihe der ihm bekannten BBC-Frauen einfügen und in ihrer Mitte vermutlich sogar eine ausgezeichnete Figur machen würde. Sie war Kunstkritikerin, hatte weidlich über die spirituelle Leere bei Malewitsch und Rothko publiziert und trat regelmäßig in jenen unbeachteten und finanziell schlecht ausgestatteten Sendungen auf, an denen Treslove nächtelang arbeitete. Ihr besonderes Augenmerk galt dem Mangel an
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