Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
männlichen Künstlern, einem Manko, das sie sanftmütiger kritisierte, als es damals Mode war. Treslove spürte ein erotisches Mitgefühl für sie in sich aufwallen, sobald sie bibbernd das Studio betrat und sich den Kopfhörer aufsetzte, der ihr den letzten Tropfen Lebensblut aus den Schläfen zu pressen schien.
»Wenn du denkst, ich lass mich von dir bei unserer ersten Verabredung vögeln«, sagte sie und ließ sich bei ihrer ersten Verabredung von ihm vögeln, »dann denk lieber noch mal.«
Später brachte sie dafür die Erklärung vor, dass sie ja keine Verabredung mit ihm gehabt hatte.
Also verabredete er sich mit ihr. Als sie kam, trug sie lange edwardianische, auf einem Wohltätigkeitsbasar erstandene Opernhandschuhe und wollte sich nicht von ihm vögeln lassen.
»Gut, dann verabreden wir uns eben nicht mehr«, sagte er.
Sie sagte ihm, man könne sich nicht absichtlich nicht verabreden, weil man dann ja verabredet wäre.
»Okay, dann verabreden wir uns weder, noch verabreden wir uns nicht«, schlug er vor. »Vögeln wir einfach.«
Sie schlug ihm ins Gesicht. »Für was für eine Sorte Frau hältst du mich?«
Ein Perlknopf auf den Opernhandschuhen ritzte Tresloves Wange auf. Die Handschuhe waren so schmutzig, dass er fürchtete, sich eine Blutvergiftung zu holen.
Danach verabredeten sie sich nicht mehr, was es ihm erlaubte, sie zu vögeln.
»Gib’s mir, gib’s mir«, sagte sie, wenn sie nicht gerade nach Luft rang, als läse sie die Worte von der Zimmerdecke ab.
Sie tat ihm in der Seele leid.
Was ihn aber nicht davon abhielt, es ihr zu geben.
Und vielleicht tat er ihr auch leid. Von allen Freundinnen Tresloves war Janice zu jener Zeit womöglich die einzige, die für ihn etwas empfand, das sich Zuneigung nennen ließe, auch wenn sie die nicht in einem solchen Maße fühlte, dass sie gern mit ihm zusammen gewesen wäre. »Eigentlich«, sagte sie einmal, »bist du kein schlechter Mann. Damit meine ich nicht, dass du nicht schlecht aussiehst oder nicht schlecht im Bett bist, nein, ich will damit sagen, dass du kein bösartiger Mensch bist. Irgendwas fehlt dir, aber Güte ist es nicht. Jedenfalls glaube ich kaum, dass du irgendwem an und für sich etwas Schlechtes willst. Nicht mal uns Frauen.« Weshalb es durchaus möglich war, dass sie sein Kind bekam, weil sie annahm, es könne nichts Schlechtes sein. An und für sich.
Dann sagte sie ihm allerdings, dass sie ihr Kind allein aufziehen wolle, was, wie er sagte, für ihn durchaus in Ordnung sei, doch warum?
»Alles andere wäre einfach zu kompliziert«, sagte sie, »ohne dich beleidigen zu wollen.«
»Warum sollte ich beleidigt sein?«, sagte Treslove zutiefst verletzt, doch auch erleichtert. Ihre eisigen Extremitäten würde er vermissen, ein Baby nicht.
Als die beiden Frauen einander und die jeweiligen Söhne kennenlernten – in denen sie beide ganz unabhängig voneinander Tresloves unauffällige, um nicht zu sagen unspezifische Attraktivität wiedererkannten –, ärgerte sie kaum etwas so sehr wie die Tatsache, dermaßen dem Einfluss von Treslove erlegen gewesen zu sein, dass sie ihr Kind Rodolfo, respektive Alfredo genannt hatten. In jenen Tagen legte Treslove abwechselnd La Bohème oder La Traviata auf. Und ohne auch nur zu ahnen, dass sie eine der Opern kannten, kannten beide Frauen sie doch in-und auswendig, vor allem die Liebesduette und das herzerweichende Finale, in dem Treslove sie als Rodolfo oder Alfredo mit »Mimi!« oder »Violetta!« anschluchzte, wobei er zwar manchmal die Opern verwechselte, in seiner Stimme aber stets dieselbe Wehleidigkeit eines Mannes mitschwingen ließ, der felsenfest daran glaubte, dass ohne sie, ohne Mimi oder Violetta, sein Leben zu Ende wäre.
»Durch ihn habe ich diese verdammten Opern hassen gelernt«, sagte Josephine zu Janice, »was mir egal sein könnte, da ich nie vorhatte, ihm von dem Jungen zu erzählen, nur warum habe ich ihn dann Alfredo genannt? Kannst du mir das erklären?«
»Also ich weiß, warum ich meinen Jungen Rodolfo genannt habe, und zwar, so paradox es klingen mag, um mir Julian endgültig auszutreiben. Mit ihm war alles so tödlich, dass ich dachte, wenn ich dieses ständige Sterben gegen neues Leben eintausche, hätten wir es geschafft.«
»Ach ja, ich weiß, was du meinst. Hältst du ihn überhaupt für fähig, mit einer lebenden Frau zusammen zu sein?«
»Nein, auch nicht mit einem lebenden Kind. Deshalb wollte ich nicht, dass Rodolfo ihn kennenlernt. Ich hatte Angst, er
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