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Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage

Titel: Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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schließlich derjenige, der fragt, was normal ist. Und meine Antwort lautet, dass alles normal ist – oder nichts. Warum machst du dir darüber Gedanken?«
    »Warum denkst du, dass ich schwul bin?«
    »Denk ich doch gar nicht. Und selbst wenn du es wärst …«
    »Ich bin’s aber nicht. Okay?«
    »Okay.«
    Rodolfo ging zu seinem Liegestuhl zurück.
    »Mir gefällt sie«, sagte er nach angemessener Pause und wies mit einem Kopfnicken auf eine junge Frau, die gerade aus dem Pool stieg. Treslove gefiel sie auch. Welche Frau sieht nicht gut aus, wenn sie aus einem Pool steigt? Doch nicht nur, dass sie
aus amniotischem Schleim emporstieg, nein, sie hatte auch den abgemagerten Look, der ihn so erregte und so ganz anders war als … nun ja, als das, was zu Hause auf ihn wartete.
    Das Bik iniunterteil hing nass und locker an ihr herab. Unmöglich, sich nicht vorzustellen, wie eine Hand darunterglitt, flach, die Finger abwärts, der kitzelnde Pelz. Bestimmt dachte Rodolfo jetzt, da er nicht schwul war, genau das Gleiche.
    Falls er seinem Vater zuliebe nicht einfach bloß so tat.
    »Geh und schnapp sie dir, Sohn.« Treslove genoss es, das sagen zu können.
    Am Abend wurde auf der Hotelterrasse getanzt. Alfredo und Rodolfo hatten beide eine Frau gefunden. Zufrieden schaute Treslove ihnen zu. So konnte es bleiben, dachte er. Ein guter Vater zu sein, ist gar nicht so schwer, wie immer behauptet wird.
    Nach dem Tanzen stellte ihm Alfredo seine Partnerin vor. »Hannah, mein Dad; Dad, das ist Hannah.«
    »Freut mich, Sie kennenzulernen«, sagte Treslove, sprang auf und verbeugte sich. Es gehörte sich bestimmt, dass man seinen künftigen Schwiegertöchtern mit größter Höflichkeit begegnete.
    »Ihr habt was gemeinsam«, sagte Alfredo, schaute ihn hinter der Sonnenbrille hervor an und lächelte wie ein Pianist im leeren Restaurant.
    »Ja? Was denn?«
    »Ihr seid beide Juden.«
     
    »Also was sollte das?«, fragte Treslove, ehe sie sich auf ihre Zimmer zurückzogen. Die Frauen waren fort. Treslove fragte seine Söhne nicht, ob sie ihnen nachgehen wollten.
    Diese Generation hatte es mit Frauen leichter. Die Männer rannten den Frauen nicht hinterher. Wenn die Frauen gingen, dann gingen sie. War zu Tresloves Zeit eine Frau gegangen,
hatte das für die Selbstachtung eine Katastrophe bedeutet. Das Ende der Welt kündigte sich an.
    »War nur Spaß, Dad.«
    »Du weißt genau, wovon ich rede. Was hatte es damit auf sich, mit diesem ›Ihr seid beide Juden‹?«
    »Bist du keiner?«
    »Würde es dir was ausmachen, wenn ich einer wäre?«
    »Das ist wieder typisch, du beantwortest eine Frage mit einer Frage. Das allein macht dich schon zum Juden, findest du nicht?«
    »Ich frage dich noch einmal, würde es dir was ausmachen, wenn ich einer wäre?«
    »Fragst du uns, ob wir Antisemiten sind?«, wollte Rodolfo wissen.
    »Und würde es dir etwas ausmachen, wenn wir es wären?«, setzte Alfredo hinzu.
    »Tja, ich bin definitiv kein Antisemit«, sagte Rodolfo. »Und du, Alf ?«
    »Nö. Du, Dad?«
    »Bis zu einem gewissen Grad sind wir alle Antisemiten. Seht euch euren Onkel Sam an, und der ist Jude!«
    »Ja, aber du?«
    »Worum geht es hier eigentlich? Was hat man euch erzählt?«
    »Wer denn? Meinst du unsere Mütter?«
    »Das sollt ihr mir sagen. Wo ist der Witz?«
    »Ich bin vor einigen Wochen zufällig Onkel Sam begegnet. Er sagte, du seist das Opfer eines antisemitischen Überfalls geworden. Er hat auch noch ein paar andere Dinge gesagt, aber bleiben wir bei dem antisemitischen Teil. Ich habe ihn gefragt, wie du das Opfer eines antisemitischen Überfalls werden konntest, wenn du doch gar kein Semit bist. Er hat erklärt, er hätte dir dieselbe Frage gestellt, und deine Antwort sei gewesen, dass du einer wärst.«

    »Ich fürchte, hier handelt es sich um eine der berühmten Simplifizierungen meines Freundes Finkler.«
    »Mag sein, aber bist du einer?«
    Er blickte von Alfredo zu Rodolfo und wieder zurück und fragte sich, ob er sie je zuvor gesehen hatte, und wennja, wo. »Es bedeutet nicht, dass ihr Juden seid«, antwortete er, »falls ihr euch deshalb Sorgen macht. Ihr könnt bleiben, was ihr seid. Nicht dass ich wüsste, was das ist. Eure Mütter haben es mir nie erzählt.«
    »Vielleicht hättest du sie danach fragen sollen«, sagte Rodolfo. »Vielleicht hätte es ihnen sogar gefallen, wenn du Anteil an unserer religiösen Erziehung genommen hättest.«
    Er schnaubte verächtlich.
    »Weichen wir nicht vom Thema ab«, sagte Alfredo.

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