Die Finkler-Frage - Jacobson, H: Finkler-Frage
wäre?«
»… die Enteignung israelischer Firmen sowie Enteignung von Firmen, die in Israel investieren oder dem illegalen Staat auf andere Weise Beistand gewähren und jetzt…«
Finkler sah sich um und versuchte einzuschätzen, bei wem Kugle Unterstützung fand. Wie stets enttäuschte es ihn, nur so wenige berühmte Schauspieler und Komiker zu sehen – Ivo Cohen war nicht berühmt –, so wenige lebende Kulturlegenden – Merton Kugle war nicht lebendig –, deren Interesse für die ASCHandjiddn ihn überhaupt erst zum Verein gebracht hatte. Sicher, er genoss es, der Star der Show zu sein, doch hätten für seinen Geschmack ruhig ein paar mehr Stars dabei sein können. Erster unter Gleichen, so hatte er sich seine Rolle vorgestellt, nur wo war seinesgleichen? Dann und wann wurde mal ein Brief oder ein Statement von einem der Großen verlesen, der gerade durch Australien oder Südamerika tourte und dem Verein alles Gute für seine unentbehrliche Arbeit wünschte, und manchmal gab es eine DVD, auf der sich ein prominenter Musiker oder Dramatiker an den Verein wandte, als handle es sich um
das Nobelpreiskomitee, dessen Glauben an das eigene Werk man sehr zu schätzen wisse, weshalb man es außerordentlich bedaure, den Preis nicht persönlich entgegennehmen zu können. Regelmäßig kamen ansonsten nur Akademiker, die nicht wussten, wohin sie sonst gehen sollten, Schriftsteller wie Kugle, der nichts geschrieben hatte, was irgendwer veröffentlichen wollte, eine Reihe von freischaffenden Meinungsträgern, die sich Analysten und Wortführer nannten, und der eine oder andere selbst ernannte Direktor eines Instituts von nichts Besonderem sowie einige halbweltliche Rabbis mit besorgtem Blick.
Wäre Finkler zur Volkshochschule gegangen, hätte er seine Abende auch mit Leuten dieses Schlags verbringen können.
Wie konnten sie es wagen, an ihm zu zweifeln!? Nun, er hatte Neuigkeiten für sie: Er begann, an ihnen zu zweifeln.
Es gab Augenblicke, in denen er sich fragte, worauf er sich eingelassen hatte. Wenn ich nicht sonderlich daran interessiert bin, mit Juden zusammen zu sein, fragte er sich, welchen Sinn ergibt es dann, mit diesen Juden zusammen zu sein, nur weil die auch nicht besonders gern mit Juden zusammen sind?
Ihm fiel auf, dass Reuben Tuckman etwas zu sagen versuchte. Tuckman war ein liberaler Rabbi, der zu jeder Jahreszeit teure Sommeranzüge trug und unter einem leisen, lispelnden Stottern litt – falls das nicht zu seinen Marotten gehörte, was Finkler nicht weiter verwundert hätte –, weshalb er beim Sprechen gern die Augen schloss. Das verlieh seinen ohnehin schon ein wenig ordinären Gesichtszügen eine schläfrige Sinnlichkeit, die sich, wie Finkler ihm am liebsten gesagt hätte, schlecht mit seinem Amt vertrug. Tuckman befand sich in semipermanentem Forschungsurlaub und hatte kürzlich einige Aufmerksamkeit erregt, als er eine einsame Mahnwache vor der Wigmore Hall begann, da dort ein kaum bekanntes Ensemble aus Haifa auftreten sollte. Zwar hatte das Ensemble schließlich wegen Erkrankung abgesagt, aber Tuckman hatte seinen Protest trotzdem aufrechterhalten,
zum einen zur Blamage der Konzerthalle (und, dachte Finkler, um mit seinem neuen Leinenanzug von Brioni in Marylebone anzugeben) und zum anderen, um die Öffentlichkeit vom Kauf von Eintrittskarten abzuhalten. »Ich liebe M-M-Musik wie die meisten M-M-Menschen«, erzählte er Reportern, »aber ich kann nicht su-su-sulassen, dass m-m-meine S-S-Seele sich an unschuldigem Blute labt.«
Statt sich in die schwammigen Untiefen eines Gesprächs mit Tuckman ziehen zu lassen, wandte sich Finkler lieber wieder Kugle zu.
»Ich möchte dich etwas fragen, Merton«, begann er. »Sind wir nicht eine Familie?«
»Du und ich?«
»Schau mich nicht so entsetzt an. Nicht gerade du und ich, sondern wir alle. Dieses Argument wurde schon tausendmal vorgebracht, doch wessen schämen wir uns eigentlich, wenn nicht unserer selbst? Würden wir uns ASCHandjiddn nennen, wenn sich unsere Kritik gegen Burma oder Usbekistan richtete? Nein, wir schämen uns unserer eigenen Familie, nicht wahr?«
Merton Kugle mochte dem nicht zustimmen. Wo war der Haken? Die übrigen ASCHandisten schauten ebenfalls ziemlich misstrauisch drein.
Reuben Tuckman faltete die Hände horizontal, als betete er wie ein Buddhist. »S-S-Sam«, sagte er und ließ Finklers Vornamen wie ein Friedensangebot klingen.
Aber Finkler konnte nicht warten. »Wenn wir jedoch eine Familie sind, was ist dann mit
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