Die Finsteren
stundenlang nicht auf. Eine Zeit lang hatte sie überlegt, erneut den Notruf zu wählen, letztlich beschloss sie aber, einfach abzuwarten. Sie zog ihm in jener Nacht die ruinierten Kleider aus und bugsierte ihn in sein Bett, was sich nicht weiter schwierig gestaltete. Er wog nicht besonders viel. Suzie deckte ihn zu und ließ ihn allein. Sie rief in seiner Schule an und sagte Bescheid, dass er aufgrund eines Todesfalls in der Familie die nächsten Tage nicht zum Unterricht kam.
Derek schlief bis in den späten Nachmittag. Wie geplant teilte sie ihm die Neuigkeit mit, sobald er wach war. »Es tut mir leid, Derek, aber dein Vater ist heute Nacht gestorben. Herzinfarkt.«
Er hatte nur genickt. »Okay.«
Das war alles.
Kein Ausdruck der Trauer, keine Fragen. Ihre Anweisungen darüber, wie er sich in Gegenwart der Verwandtschaft zu verhalten hatte und was er zum Begräbnis anziehen sollte, nahm er widerspruchslos zur Kenntnis. In den folgenden Tagen sprach er kaum ein Wort und beobachtete sie lediglich mit diesen zu dunklen Augen und jenem selbstgefälligen Gesichtsausdruck.
Suzie schüttelte heftig den Kopf und setzte sich weiter die Stufen hinauf in Bewegung.
Wahrscheinlich bildete sie sich das meiste nur ein. Immerhin hatte sie eine Menge um die Ohren und Derek war ein typischer mürrischer Teenager, anfällig für die üblichen unerklärlichen Stimmungsschwankungen.
Sie erreichte den ersten Stock und hörte weiteres gedämpftes Keuchen, das aus seinem Zimmer drang. Dann ein leises Stöhnen. Suzie lächelte. Definitiv Sex . Nur ... irgendetwas stimmte nicht mit den Geräuschen. Sie wiesen feine Unterschiede in der Klangfarbe auf. Es hörte sich beinah an, als versuche ein Paar, leise miteinander zu schlafen, nicht so, als masturbiere ein Jugendlicher. Aber das ergab keinen Sinn. Aus Dereks kleinem Freundeskreis hatte sich heute niemand blicken lassen, auch in den letzten Tagen nicht.
Der Gedanke, noch einmal zu überlegen, wohin Ella verschwunden sein mochte, kam ihr erst, als sie durch den Türspalt ins Zimmer spähte.
Die alte Fotze befand sich bei Derek im Zimmer.
Suzie schlug eine Hand vor den Mund, um ein Japsen zu unterdrücken. Ihr erster Instinkt bestand darin, zurückzuweichen, sich so schnell und leise wie möglich über die Treppe zurückzuziehen. Aber sie fühlte sich wie angewurzelt. Einige Augenblicke lang ließ sich die Wirklichkeit dessen, was sich vor ihr abspielte, unmöglich akzeptieren, doch es ging einfach weiter, was bestätigte, dass es sich nicht um eine Halluzination handelte.
Die zwei befanden sich auf Dereks schmalem Bett. Ella lag unter ihm, das schwarze, kurze Kleid über die Taille hochgeschoben. Auf dem Boden erspähte Suzie ein schwarzes Kleidungsstück. Einen Stringtanga. Auch der Großteil von Dereks Beerdigungs-Outfit lag auf dem Boden. Die polierten schwarzen Schuhe, dazu die dunkelgraue Hose. Das gestärkte weiße Hemd hatte er noch an, aber die Vorderseite hing offen herab. Über den Boden verstreut sah Suzie weiße Knöpfe. Derek befand sich unmittelbar über Ella, die Hände zu beiden Seiten flach auf die Matratze gestützt, die Arme an den Ellbogen versteift. Sein Oberkörper wölbte sich hoch. Ella hatte die Beine weit gespreizt. Im trüben Licht wirkten die zierlichen, weichen Gliedmaßen gespenstisch bleich. Das Licht war deshalb so trüb, weil jemand ein anderes Hemd über die Nachttischlampe geworfen hatte. Ella hatte den Kopf zur Seite gedreht, der Zipfel eines Kissens steckte in ihrem Mund. Sie benutzte ihn, um ihr Keuchen zu dämpfen.
Oh mein Gott ...
Suzies Verstand rotierte.
Ungeachtet der bizarren Fantasien, die sie selbst unterhielt, konnte ihr Geist diesen Anblick vorübergehend auf keiner Ebene verarbeiten. Ella mochte vielleicht ein wenig schamlos mit Männern ihres Alters flirten, doch es ging nie über das normales Maß des menschlichen Umgangs hinaus. Verdammt, in so gut wie jeder Hinsicht verkörperte sie ein typisches Großmütterchen, eine brave Keksbäckerin.
Ihr fiel nichts ein, was diese Szene erklärte.
Sie wusste nur, dass sie sofort von hier wegmusste.
Suzie wich einen Schritt zurück.
Da wirbelte Dereks Kopf zu ihr herum. Wieder dieses entsetzliche, wissende Grinsen. Und seine Augen waren nicht nur dunkel, sondern schwarz. Vollkommen schwarz. Knurrend sprang er vom Bett und durchquerte das Zimmer mit zwei rasanten Schritten.
Suzie gelang noch ein weiterer Schritt zurück.
Dann schwang die Tür auf und er packte sie am Handgelenk.
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