Die Flamme von Pharos
Namen benutzt?«, gab du Gard zu bedenken. Auch wenn der Wahrsager in seinem königsblauen Samtrock und seinem rüschenbesetzten Hemd einen etwas auffälligen Anblick bot, war Sarah froh über seine Gesellschaft – insgeheim hatte sie nämlich befürchtet, dass ihr der schlechte Ruf, den sie sich an der Sorbonne erworben hatte, bereits bis zum Louvre vorausgeeilt war. Zwar hatte sich diese Befürchtung als unbegründet erwiesen, dennoch war es für Sarah ein beruhigendes Gefühl, einen Freund an ihrer Seite zu wissen – auch wenn Sie sich lieber die Zunge abgebissen hätte, als du Gard dies zu gestehen …
»Einen anderen Namen?« Sie hob die Brauen.
»Nach allem, was wir wissen, muss ihm klar gewesen sein, dass er verfolgt wurde – da läge es doch nahe, sich zu tarnen, n’est-ce pas?«
»Das ist allerdings wahr«, räumte Sarah ein – wenngleich sie sich nicht vorstellen konnte, dass sich ihr Vater hinter einem Pseudonym versteckt haben sollte. »Darf ich selbst einen Blick auf die Liste werfen?«, erkundigte sie sich deshalb. »Möglicherweise findet sich der eine oder andere Name, der meinen Verdacht erregt.«
»Bitte, wie Sie wünschen.« Ein wenig widerwillig drehte der Archivar die Liste herum, sodass Sarah sie von der Stirnseite des Schreibtischs her einsehen konnte. Offenbar vermutete er, dass Sarah an seiner Sorgfalt zweifelte und deshalb selbst nach ihrem Vater suchen wollte – entsprechend pikiert war seine Miene.
In Windeseile überflog Sarah die Einträge jener Tage, in denen ihr Vater sich nach den Berichten du Gards und Francine Recassins in Paris aufgehalten hatte. Der Name Gardiner Kincaid fehlte tatsächlich, dafür stieß Sarah auf eine andere Eintragung, die ihr Interesse erregte.
»Sieh an«, sagte sie leise.
»Schon fündig?« Du Gard trat vor.
»Nicht direkt. Aber ein gewisser Friedrich Hingis ist hier gewesen.«
»Ein Freund von Ihnen?«
Sarah lachte grimmig auf. »Wohl kaum. Hingis ist einer der schärfsten Konkurrenten meines Vaters. Er gehörte zu denen, die mir auf dem Symposion das Fell über die Ohren gezogen haben.«
»Ein unerfreulicher Zeitgenosse.«
»In der Tat.«
»Glauben Sie, dass ein Zusammenhang besteht?«
»Ich weiß nicht.« Sarah überlegte. »Hingis ist ein Schüler Schliemanns und gehört dem archäologischen Forschungskreis an. In dieser Eigenschaft ist es völlig normal, wenn er … Moment mal!«
»Was ist?« Du Gard schaute sie fragend an. »Haben Sie einen Verdacht?«
»Eher eine vage Idee«, verbesserte Sarah. »An jenem Tag an der Sorbonne war Hingis ganz wild darauf, herauszubekommen, woran mein Vater gerade arbeitet.«
»Et quoi?«
»Nun ja – möglicherweise hat er meinen Vater in Paris gesehen. Vielleicht sind Sie sich ja hier in der Bibliothek über den Weg gelaufen, und Hingis hat vergeblich versucht, herauszufinden, was der Gegenstand von Vaters derzeitigen Forschungen ist. Das würde sein aggressives Auftreten an der Sorbonne erklären.«
»Peut-être«, räumte du Gard ein. »Allerdings ist es nur eine Vermutung. Ein Beweis dafür, dass Ihr Vater hier gewesen ist, ist das noch längst nicht.«
»Zugegeben«, gestand Sarah, die die Liste unterdessen weiter durchgegangen war und triumphierend auf einen weiteren Eintrag deutete. »Aber das hier ist ein eindeutiger Beweis.«
»Tatsächlich?«
»Am 4. April«, eröffnete Sarah, »hat ein gewisser Mortimer Laydon dem Kartenarchiv einen Besuch abgestattet.«
»Und? Kennen Sie den Monsieur?«
»Das will ich meinen.« Sarah nickte. »Dr. Laydon ist der beste Freund und engste Vertraute meines Vaters und überdies auch mein Patenonkel. Es kann kein Zufall sein, dass er sich just zur selben Zeit in Paris aufhielt wie mein Vater.«
»Sie meinen, Gardiner hat ihn um Hilfe gebeten?«
»Einen anderen Grund dafür, dass ein Leibarzt Ihrer Majestät der Königin ein Archiv für altes Kartenmaterial aufsucht, kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen«, erwiderte Sarah – und schlagartig verflog die Euphorie, die sie eben noch empfunden hatte, und machte Ernüchterung Platz.
So erfreut sie eben noch darüber gewesen war, dass ihre Vermutung wohl richtig gewesen und ihr Vater tatsächlich nach Paris gekommen war, um eine Expedition vorzubereiten, so sehr quälte sie nun eine nagende Frage: Wieso, in aller Welt, rief ihr Vater Mortimer Laydon zu Hilfe, wenn er in Schwierigkeiten war, und nicht sie? Wäre seine Tochter, die ebenfalls Archäologin war und die er selbst unterwiesen hatte,
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