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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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verfügt und der nur allzu gerne bereit sein wird, sie mir zu geben.«
    »Tatsächlich?« Du Gards Miene verriet Überraschung. »Und wer sollte das sein?«
    »Das überlassen Sie getrost mir. Monsieur Verne, ich danke Ihnen für alles, was Sie für meinen Vater und mich tun wollen. Wir stehen tief in Ihrer Schuld.«
    »Nicht doch«, erwiderte der Schriftsteller verlegen, »ich wünschte, ich hätte mehr für Sie tun können.«
    »Das können Sie«, versicherte Sarah. »Dürfte ich Sie noch um einen letzten Gefallen bitten?«
    »Natürlich – worum geht es?«
    »Sie müssten Ihre Beziehungen zur Universität für mich bemühen – ließe sich das einrichten?«
    »Ohne Frage.« Verne nickte. »Sagen Sie mir nur, was ich für Sie tun kann, und betrachten Sie es als bereits geschehen.«
    »Danke, Monsieur Verne. Das ist sehr freundlich.«
    »Warum?«, wandte du Gard ein, den eine hässliche Ahnung beschlich. »Was haben Sie vor?«
    »Das werden Sie sehen, wenn es so weit ist«, wich Sarah aus.
    »Sollten wir nicht wenigstens darüber reden? Ich meine, ich denke nicht, dass Ihr Vater …«
    »Mein Vater ist nicht hier«, stellte Sarah klar. »Was immer entschieden werden muss, habe ich allein zu verantworten.«
    »Wie Sie meinen.« Du Gards hagere Gestalt straffte sich, sein Mund wurde zu einem schmalen Strich.
    »Ich wäre Ihnen also sehr verbunden, Monsieur Verne«, wandte sich Sarah wieder an den Schriftsteller, »wenn Sie dem Kreis für Archäologische Forschung, der derzeit an der Sorbonne ein Symposion abhält, eine Nachricht zukommen lassen könnten, die ich rasch aufsetzen werde.«
    »Weiter nichts?« Verne schaute sie fragend an.
    »Nein, Monsieur – nur eine Frage hätte ich gerne noch beantwortet.«
    »Nämlich?«
    »Dieser Ihnen bekannte Kapitän, der Konstrukteur des Submarins …«
    »Was ist mit ihm?«
    »Er scheint nicht gerade ein selbstloser Menschenfreund zu sein, oder irre ich mich?«
    »Bedauerlicherweise«, antwortete Verne seufzend, »irren Sie sich nicht.«
    »Sein Name lautet nicht zufälligerweise Nemo, oder?«, erkundigte sich Sarah und wusste selbst nicht, ob es ihr ernst damit war oder ob sie nur scherzte.
    Das Lächeln im Gesicht des Schriftstellers verriet einmal mehr den Jungen, der sich hinter Jules Vernes angegrauten Zügen zu verbergen schien. »Nein, Sarah«, gab er offen zu. »Sein Name ist Hulot. Hectoire Hulot …«

10
    P ERSÖNLICHES T AGEBUCH
S ARAH K INCAID
    Eine griechische Sage berichtet, wie der einfallsreiche Erfinder Daidalos aus der Gefangenschaft des kretischen Königs Minos entkam – nämlich indem er für sich und seinen Sohn Ikaros Flügel aus Federn und Wachs konstruierte, mit deren Hilfe sich beide in die Lüfte schwangen. Anfangs ging alles gut; Daidalos und sein Sohn entkamen ihrem Inselgefängnis, indem sie sich wie Vögel auf ihren künstlichen Flügeln durch die Lüfte bewegten. Dann jedoch missachtete der leichtsinnige Ikaros die Warnung seines Vaters, der Sonne nicht zu nahe zu kommen, und flog immer höher. So geschah, was geschehen musste: Das Wachs der Flügel schmolz, und Ikaros stürzte ins Meer, das fortan seinen Namen trug …
    Ich war noch ein junges Mädchen, als mein Vater mir diese Geschichte zum ersten Mal erzählte, aber schon damals hatte ich Mitleid mit dem armen Ikaros, dem seine jugendliche Unbekümmertheit zum Verhängnis geworden war – und bis zum heutigen Tage frage ich mich, ob ich es anders oder besser gemacht hätte.
    Folge ich noch dem richtigen Kurs?
    Beschreite ich noch das antike Ideal der goldenen Mitte zwischen Rettung und Verderben? Oder bin ich der Sonne bereits zu nahe gekommen und drohe die Errungenschaft meines Vaters zu verraten, wie einst der leichtfertige Ikaros es tat …?
    C HAPELLE S TE . U RSULE
S ORBONNE , P ARIS
A BEND DES 21. J UNI 1882
    »Sie sind mutig, das muss man Ihnen lassen.«
    Als Sarah erneut jene Stimme hörte, die sie vor wenigen Tagen öffentlich bloßgestellt und erniedrigt hatte, kostete es sie einige Überwindung, nicht aufzustehen und die Kapelle zu verlassen. Sie atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe, ehe sie sich umwandte und den Mann, der in der Sitzbank hinter ihr Platz genommen hatte, mit einem kühlen Blick bedachte.
    »Sieh an«, sagte sie nur. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie persönlich erscheinen würden, Dr. Hingis.«
    Der Schweizer, dessen Anzug so korrekt und dessen Haar so wirr war wie bei ihrer letzten Begegnung, lachte nur. »Warum nicht?«, fragte er dagegen. »Im

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