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Die Flamme von Pharos

Die Flamme von Pharos

Titel: Die Flamme von Pharos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Peinkofer
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gleichzeitig zu kommen schien und durch Mark und Bein ging, wiederholte sich. Fraglos war es der Klang eines Nebelhorns, wie große Schiffe es zu besitzen pflegten. Mit einer Mischung aus spontaner Hoffnung und maßloser Verblüffung schaute sich Sarah um – und entdeckte plötzlich schemenhafte Formen, die sich groß wie ein Gebirge aus den Nebelschleiern erhoben.
    Ein senkrecht aufsteigender Bug mit hoher Schanzung war zu erkennen, über dem sich kantige Aufbauten abzeichneten. Geschützrohre ragten in das milchige Grau, darüber thronten kahle Masten und zwei turmhohe Schlote. Und über allem war das Stampfen der mächtigen Maschinen zu vernehmen, die den stählernen Koloss durch die Wellen trieben.
    Mit angehaltenem Atem identifizierte Sarah die eindrucksvollen Konturen als jene des Kriegsschiffs »Inflexible« – jener schwimmenden Festung, die erst im vergangenen Jahr in den Dienst der königlich britischen Marine gestellt worden war und die aufgrund ihrer überlegenen Feuerkraft und Panzerung als uneingeschränkte Herrscherin der Meere galt. Sarah erinnerte sich, in den »London Illustrated News« Zeichnungen des Schiffes gesehen zu haben, jedoch hätte sie niemals geglaubt, dieses Bollwerk moderner Waffentechnik schon so bald zu Gesicht zu bekommen, noch dazu als Retter in einer solch verzweifelten Situation.
    »Ahoi!«, begann sie zu rufen und sprang auf, ruderte wie wild mit den Armen. »Ahoi, ›Inflexible‹ …!«
    Die Bugwelle des Kreuzers erfasste den Nachen und brachte ihn bedenklich ins Wanken. »Hier sind wir! Können Sie uns hören …?«
    Es kam keine Antwort, deshalb folgte du Gard Sarahs Beispiel und begann ebenfalls zu rufen und zu winken. Es war ihr Glück, dass das Kriegsschiff mit gedrosselten Maschinen fuhr – bei voller Fahrt hätte es sie wohl schneller passiert, als sie auf sich hätten aufmerksam machen können, vom infernalischen Getöse der Maschinen ganz zu schweigen. So jedoch zog der Koloss, der immer höher und steiler vor ihnen aufragte, mit träger Langsamkeit an ihnen vorüber, und als ihre sowohl von der Erschöpfung als auch von der harschen Luft belegten Stimmen ihnen bereits zu versagen drohten, erhielten Sarah und du Gard endlich Antwort.
    »Ahoi«, drang es durch die trüben Schleier. »Ist da jemand …?«
    Sarah und du Gard antworteten mit lautem Rufen – und tatsächlich drehte das riesige Schiff bei. Im sich allmählich lichtenden Nebel konnten Sarah und ihr Begleiter sehen, wie ein Rettungsboot zu Wasser gelassen wurde. Erneut riefen sie, um den Seeleuten darin den Weg zu weisen – und schon kurz darauf ging die Schaluppe längsseits zu ihrem Nachen.
    Gerettet …
    »Wie es aussieht, Kincaid«, bemerkte du Gard grinsend, während sie sich anschickten, das kleine Boot zu verlassen, »bin ich ein Schoßkind des Glücks.«
    »Ja«, gab Sarah zu. »Aber vielleicht wird deine Glückssträhne irgendwann enden.«
    Du Gards Grinsen verschwand augenblicklich. »Oui«, räumte er ein, »vielleicht wird sie das …«
    Wie sich herausstellte, hatte Sarah recht gehabt, und zwar in jeder Hinsicht.
    Das Schiff, dessen eindrucksvolle Konturen so unvermittelt aus dem Nebel aufgetaucht waren, war die ›Inflexible‹, und tatsächlich kreuzte sie in maltesischen Gewässern, was all jene Vermutungen bestätigte, die Sarah bezüglich des Ortes und der Dauer ihrer Gefangenschaft angestellt hatte.
    Aus der Nähe betrachtet, wirkte die ›Inflexible‹ noch um vieles Furcht einflößender als aus der Ferne. Mit einer Länge von 115 Yards und einer Breite von rund 25 Yards war sie in der Tat eine schwimmende Festung, über deren Mauern aus vernietetem Stahl sich trutzige 80 Tonnen-Geschütze erhoben. 440 Mann Besatzung versahen auf dem von 12 Kesseln angetriebenen Koloss ihren Dienst, der es bei voller Fahrt auf eine Geschwindigkeit von fast 15 Knoten brachte – Zahlen, die Sarah so beeindruckt hatten, dass sie ihr im Gedächtnis haften geblieben waren.
    Man führte die Geretteten unter Deck und brachte sie zur Krankenstation, wo sich der stellvertretende Schiffsarzt um ihre Blessuren kümmerte und sie frische, wärmende Kleider erhielten. Da es auf einem Kreuzer der königlichen Kriegsmarine freilich nichts gab, das für eine Dame passend gewesen wäre, bekam auch Sarah einen Matrosenanzug verordnet, der natürlich um ihre schmalen Hüften schlotterte und dessen Ärmel und Hosenbeine sie umkrempeln musste. All das änderte allerdings nichts daran, dass die weiße Arbeitshose und die

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