Die Flamme von Pharos
bewusst«, versicherte Sarah. »Aber wenn ich meinen Vater nicht rechtzeitig finde, wird er vielleicht sterben, und das kann und will ich nicht zulassen.«
»Wie ich schon sagte – ich bewundere Ihre Haltung. Sicher ist Ihr Vater sehr stolz auf Sie. Aber ich kann leider nichts für Sie tun.«
»Auch dann nicht, wenn ich Ihnen sage, dass mein Vater Lord Gardiner Kincaid ein verdienter Untertan der Krone ist? Dass er im Regierungsauftrag in Alexandrien weilt und dort ein streng geheimes Ausgrabungsprojekt leitet?«
»Von diesen Dingen weiß ich nichts. Ich kann nur von dem ausgehen, was mir mitgeteilt wurde – und in diesen Plänen ist kein Platz für Passagiere an Bord eines Kriegsschiffs. Ich bedaure das sehr, aber ich habe meine Befehle.«
»Natürlich.« Sarah schnaubte. »Ich verstehe.«
»Heute Abend wird dieses Schiff in Valletta einlaufen, dort werden Sie von Bord gehen. Von Malta aus werden Sie ohne Schwierigkeit eine Passage zurück nach England bekommen, sodass Sie schon in einigen Tagen wieder zu Hause sein werden. Was Ihren Vater betrifft, so werde ich das Flottenkommando informieren. Vielleicht kann – allerdings erst nach erfolgreichem Abschluss der Kampfhandlungen – ein Expeditionskorps nach Alexandria entsandt werden, um etwas über seinen Verbleib in Erfahrung zu bringen. Mehr kann ich bedauerlicherweise nicht für Sie tun.«
»Ja, Captain«, bestätigte Sarah tonlos, »bedauerlicherweise …«
Als sie hörte, dass die ›Inflexible‹ Alexandria ansteuern sollte, hatte Sarah jähe Hoffnung geschöpft, die Stadt vielleicht doch noch in Bälde zu erreichen und so ein wenig von der Zeit, die sie verloren hatten, wieder wettzumachen. Diese Hoffnung war jedoch an militärischer Arroganz gescheitert, sodass Sarah weitere wertvolle Tage verlieren würde.
Aufzugeben und zurück nach England zu reisen, wie Fisher es ihr vorschlug, kam allerdings nicht in Frage. Die Entführung und die Begegnung mit dem Vermummten hatten Sarahs Entschlossenheit in keiner Weise gemindert; im Gegenteil: Sie brannte nur noch mehr darauf, ihren Vater zu finden und das Geheimnis des Codicubus zu enträtseln. War der alte Gardiner tatsächlich auf der Suche nach der verschollenen Bibliothek? Hatten Werke wie die Bücher des Aristoteles und die Schriften Hypatias tatsächlich bis in die Gegenwart überdauert?
Wenn ja, würde das viele der Fragen beantworten, auf die Sarah in letzter Zeit gestoßen war; es lieferte den Grund für die Geheimniskrämerei, die ihr Vater betrieben hatte, und es erklärte auch, weshalb Menschen dafür mordeten. Der verschollene Wissensschatz von Alexandria war von unschätzbarem Wert und in Sarahs Augen nur noch mehr Grund, nach Ägypten zu reisen – und zu ihrer Überraschung schien auch du Gard dies so zu sehen. Obwohl sie nur mit knapper Not dem Tod entgangen waren, schien ihr Begleiter nicht gewillt, sich einschüchtern zu lassen. Trotz seines Versäumnisses auf See war Sarah insgeheim froh darüber.
»Sagen Sie, Captain«, wandte er sich an Fisher, »besteht denn wenigstens die Möglichkeit, von Valletta aus eine telegrafische Nachricht nach Paris zu senden?«
»Auf direktem Weg? Schwerlich.« Der Captain schürzte die Lippen. »Allerdings existiert eine Verbindung nach Marseille – von dort aus wird man Ihre Nachricht sicher weiterleiten. Wenn ich Ihnen allerdings einen gut gemeinten Rat geben darf – versuchen Sie nicht, auf eigene Faust nach Alexandria zu gelangen. Der erste Versuch hat Sie nur fast das Leben gekostet, beim zweiten haben Sie vielleicht weniger Glück. Überdies ist die Stadt dem Untergang geweiht.«
»Was soll das heißen?«, erkundigte sich Sarah.
»Mylady – was glauben Sie wohl, weshalb ein Schiff wie die ›Inflexible‹ in südliche Gewässer beordert wird? Unsere neuen Geschütze werden Urabi und seinen Spießgesellen so ordentlich einheizen, dass ihnen die Lust am Revoltieren gründlich vergehen wird. Wenn ihre Festung erst in Schutt und Asche liegt, werden die Aufständischen bald Ruhe geben.«
»Ich verstehe«, sagte Sarah leise – und plötzlich ließ die Angst um ihren Vater sich nicht mehr verdrängen.
4
R EISETAGEBUCH S ARAH K INCAID
N ACHTRAG
Wie Captain Fisher angekündigt hatte, erreichte das Schiff noch am Abend den Hafen von Valletta.
Vorbei an den Türmen von Fort St. Elmo und den trutzigen Mauern von Abercrombie und St. Lazarus fuhr die ›Inflexible‹ in den Großen Hafen ein, wo sie inmitten weiterer Schiffe der Royal Navy vor
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