Die Flamme von Pharos
sind noch Stunden! Bis dahin werden wir erfroren sein.«
»Nicht, wenn wir uns gegenseitig wärmen«, schlug Sarah vor, wogegen ihr Begleiter nichts einzuwenden hatte. Im Heck des Nachens drängten sie sich aneinander und spendeten sich die Körperwärme, die ihnen geblieben war.
»Wir sollten uns abwechseln«, schlug Sarah vor. »Jeweils einer von uns kann schlafen, während der andere aufpasst, dass wir uns nicht zu weit vom Ufer entfernen.«
»Pas de problème«, versicherte du Gard. »Schlaf ruhig, ich werde die erste Schicht übernehmen.«
»Bist du sicher?«
»Bien sûr. Vertraust du mir etwa nicht?«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihre ausgemergelten Züge. »Doch, Maurice. Ich traue dir.«
»Dann schlaf jetzt – ich könnte ohnehin kein Auge zutun.«
Er hob den Arm, damit sie ihr Haupt an seine Schulter betten konnte, und legte ihn sanft um sie. Und er genoss das Gefühl, das ihn dabei durchströmte.
»Kincaid?«, fragte er.
»Hm?«
»Dis donc, hast du gehört, was ich dort unten gesagt habe? Ich meine, kurz bevor es dir gelang, dich zu befreien?«
»Nein«, drang es schläfrig zurück.
Du Gard schürzte die Lippen. »Ich verstehe.«
»Wieso? Habe ich etwas verpasst?«
Der Franzose zögerte einen unmerklichen Augenblick.
»Non«, sagte er dann, während er weiter in die blaue Dunkelheit starrte. »Ce n’est pas important.«
»Was?«
»Nicht weiter wichtig …«
3
R EISETAGEBUCH S ARAH K INCAID
N ACHTRAG
Von früher Jugend an wurde mir beigebracht, mich auf niemanden zu verlassen. Vertrauen, pflegte mein Vater stets zu mir zu sagen, ist wie eine hohe Auszeichnung – man verleiht sie selten und nur an jene, die sie wirklich verdienen. Wem man es jedoch einmal geschenkt hat, dem entzieht man es niemals wieder.
Ich habe stets versucht, diese Regel zu berücksichtigen – dass ich sie ausgerechnet vernachlässigte, als mein Überleben davon abhing mag man für unentschuldbar halten; inzwischen weiß ich, dass es nur die Reaktion darauf war, dass ausgerechnet mein Lehrer den Grundsatz gebrochen hatte. Mein Vater hatte mir das Vertrauen entzogen, also suchte ich neue Freunde.
War das ein Fehler …?
Es war das dritte Mal in Folge, dass Sarah Kincaid beim Erwachen eine hässliche Überraschung erlebte.
Die klamme Kälte des Morgens ließ sie frösteln und sorgte dafür, dass sie die Augen aufschlug – nur um gehetzt in die Höhe zu fahren, als sie über sich nichts als milchige Leere erblickte und nicht wusste, wo sie war. Sie fand sich in einem Nachen liegend, umgeben von Meerwasser und Nebel, der so dicht war, dass die graue See sich schon nach wenigen Yards darin verlor.
Die Sonne war aufgegangen; wie weit sie bereits über den Horizont gestiegen war, ließ sich infolge der trüben Schleier allerdings nicht feststellen. Die See war ruhig; sanft dümpelte das Boot auf und ab, von der rettenden Küste jedoch war nichts mehr zu sehen.
Jäh erinnerte sich Sarah daran, dass sie nicht allein in dem Boot war und dass sie mit du Gard eine Übereinkunft getroffen hatte. Als sie sich schnaubend umwandte und ihren Begleiter schlafend fand, schoss blanke Wut in ihre Adern.
»Du Gard!«, fuhr sie ihn an und stieß ihn unsanft mit dem Fuß. »Wach auf!«
Der Franzose machte kaum Anstalten zu erwachen, sodass Sarah ihm einen weiteren Tritt versetzte.
»Qu’est-ce qu’ily a?«, erkundigte er sich daraufhin schläfrig, die Augen weiter geschlossen.
»Ich werde dir verraten, was es gibt«, erwiderte Sarah entrüstet. »Anstatt Wache zu halten, wie du es versprochen hast, bist du eingeschlafen.«
»Quoi …?«
Der säumige Wächter bequemte sich jetzt doch dazu, die Augen zu öffnen. Von dem Moment, in dem er sich aufsetzte und sich verschlafen umblickte, bis zu dem, da ihm zu dämmern schien, was geschehen war, verstrich allerdings noch eine kleine Ewigkeit, im Laufe derer Sarahs Geduld auf eine harte Probe gestellt wurde.
»C’est la brume«, stellte er schließlich wenig geistreich fest.
»Dass das Nebel ist, sehe ich auch«, blaffte Sarah. »Die Frage ist, weshalb du mich nicht geweckt hast, als er aufzog.«
»C’est vrai.« Ein wenig verlegen kratzte du Gard sich am Hinterkopf. »Das muss mir wohl entgangen sein.«
»Findest du das amüsant?«, erkundigte sich Sarah fassungslos. »Wir haben das Ufer aus dem Blick verloren. Ist dir nicht klar, was …?« Sie unterbrach sich, als ein dumpfer, unheimlicher Ton durch den Nebel hallte.
Das Geräusch, das von allen Seiten
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