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Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)

Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)

Titel: Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter V. Brett
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Lehmziegelhütte, die Inevera und ihre Familie ihr Zuhause nannten. Die hohen Decken, die riesigen Säulen und die luftigen Bogengänge verliehen selbst dem nackten Stein etwas Erhabenes, und die eingekerbten Siegel waren echte Kunstwerke. Obwohl die Sonne nicht in diese Räume eindrang, war die Luft angenehm warm, und auf den Steinböden lagen weiche Teppiche, deren Ränder mit Siegeln bestickt waren. Selbst wenn alagai es irgendwie schafften, bis zu diesem sakrosankten Ort vorzudringen, bestand für die Bräute des Everam keine Gefahr.
    Gelegentlich begegneten sie Dama’ting , die durch die Gänge wandelten. Diese nickten Qeva im Vorbeigehen grüßend zu, aber Inevera spürte förmlich die durchdringenden Blicke, die sie ihr hinterherschickten.
    Sie stiegen einen Treppenschacht hinab und marschierten weitere Korridore entlang. Die Luft wurde wärmer und feucht. Die Teppiche verschwanden, stattdessen war der Boden mit Marmorfliesen gekachelt und glitschig von der sich niederschlagenden Nässe. Eine vierschrötige dama’ting stand Wache vor einem Portal und gaffte Inevera unverhohlen an, wie eine Katze eine Maus anstarrt. Inevera erschauerte, als sie in einen großen Raum gelangten, an dessen Wänden Dutzende von Haken angebracht waren. An den meisten hingen eine Robe und ein langer Streifen aus weißer Seide. Weiter vorn erklangen Gelächter und platschende Geräusche.
    »Zieh dein Kleid aus und lass es am Boden liegen, damit es verbrannt werden kann«, befahl Qeva.
    Hurtig schlüpfte Inevera aus ihrem gelbbraunen Kleid und dem Bido – ein breiter Stoffstreifen, der den allgegenwärtigen Sand und Staub des Basars von den empfindlichen Körperpartien fernhielt. Manvah trug einen schwarzen Bido und hatte Inevera beigebracht, wie man ihn schnell mit einem praktischen Knoten band.
    Melan entkleidete sich, und Inevera sah, dass sie unter ihrer Robe und den seidenen langen Hosen auch einen Bido trug, nur war dieser viel komplizierter gebunden, denn er bestand aus einem vielfach geflochtenen, kaum einen Zoll breiten Streifen Seide. Auch ihr Kopf war mit Seide umwickelt, die ihr Haar, die Ohren und den Hals vollständig verhüllte. Ihr Gesicht blieb frei.
    Melan band einen kleinen Knoten unter ihrem Kinn auf und fing an, die Kopfbedeckung zu entfernen. Flink, mit einer durch lange Übung erworbenen Geschicklichkeit, löste sie ein unglaublich kniffliges Geflecht. Dabei drehte sie die Hände dauernd hin und her, um den gelockerten Seidenstreifen darumzuwickeln und ihn gleichzeitig straff zu halten.
    Zu ihrem Schrecken sah Inevera, dass der Kopf des Mädchens kahlgeschoren war; die olivfarbene, glatte Haut schimmerte wie polierter Stein.
    Die Kopfbedeckung endete in einem stramm geflochtenen Zopf aus Seide, der an Melans Rücken herunterhing. Hinter dem Kopf fuhren die Hände des Mädchens mit ihrem Tanz fort und entwirrten Dutzende von Schlingen in der Seide, bis zwei separate Stränge zu ihrem Bido führten. Und immer noch arbeiteten die Hände der Schülerin.
    Es ist ein einziger Streifen Seide , erkannte Inevera und sah in ehrfurchtsvollem Staunen zu, wie Melan langsam ihren Bido entflocht. Der Eindruck eines Tanzes verstärkte sich noch, als Melan anfing, über die aufgelösten Streifen zu treten, wobei ihre bloßen Füße einen steten Rhythmus stampften. Dutzende von Malen kreuzte die Seide ihre Schenkel und zog sich zwischen ihren Beinen hindurch, eine Schicht über die andere legend.
    Inevera hatte genug Körbe hergestellt, um zu wissen, was eine gute Flechtarbeit war, und dies hier war ein Meisterwerk. Ein derart raffiniertes Gewebe konnte den ganzen Tag getragen werden, ohne sich zu lockern, und ein Ungeübter würde wahrscheinlich niemals in der Lage sein, es zu entwirren, ohne ein heilloses Durcheinander zu verursachen.
    »Der geflochtene Bido ist wie das Gewebe aus Fleisch, das deine Jungfräulichkeit schützt«, bemerkte Qeva und warf Inevera eine große Rolle aus dünner weißer Seide zu. »Du wirst ihn ständig tragen, außer wenn du dich reinigst oder deine Notdurft verrichtest, was hier in der tiefsten Kammer des Gewölbes geschieht. Unter gar keinen Umständen wirst du das Gewölbe ohne den Bido verlassen, und wenn er nicht ordentlich geflochten ist, wirst du bestraft. Melan bringt dir bei, wie man ihn anlegt. Für die Tochter einer Korbflechterin dürfte es ein Leichtes sein, es zu lernen.«
    Bei dieser Bemerkung schnaubte Melan verächtlich durch die Nase; Inevera schluckte trocken und bemühte sich,

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