Die Flammen der Dämmerung: Roman (German Edition)
Arm ausstreckte, um ihren Hals zu streicheln, bewegte sich die Stute blitzschnell und schnappte mit mächtigen Kiefern zu. Im allerletzten Moment konnte Renna ihre Hand zurückziehen, ehe sie abgebissen wurde.
»Das darfst du nicht!«, schimpfte sie und schlug dem Pferd fest auf die Nase. Bei dem Schlag wurde Tornado wild, bäumte sich auf und trat mit den Hufen nach ihr, aber darauf war Renna vorbereitet. Nachdem sie monatelang Dämonen gejagt und deren Magie in sich eingesogen hatte, war sie stärker und schneller, als sie es sich je erträumt hätte. Und nun, da ihr Blut erhitzt war, fühlte sie ein neues Prickeln in ihren Gliedmaßen, einen Geschmack der nächtlichen Macht, selbst hier unter der Sonne.
Renna bog sich wie ein Gerstenhalm im Wind und spürte den Luftzug, als die wirbelnden Hufe sie nur um wenige Zoll verfehlten. Immer und immer wieder versuchte die rasende Stute, sie zu zerschmettern. Es waren gewaltige, ungemein schnelle Tritte, die einem Felddämon das Rückgrat hätten brechen können.
Aber Rennas Bewegungen waren geschmeidig und fließend wie die einer Tänzerin, und sie wurde kein einziges Mal getroffen. Eine ganze Weile ging das so, und sie begann sich zu fragen, wer von ihnen beiden zuerst nachgeben würde. Die neue Kraft in ihren Gliedmaßen entsprach nur einem Bruchteil der Energie, die sie während der Nacht durchströmte. Das Pferd hingegen schien überhaupt nicht zu ermüden.
Aber zum Schluss wurden die Tritte langsamer, und die Stute spannte die Muskeln an, bereit zur Flucht. Renna lief zu ihr hin, ehe sie davongaloppieren konnte, griff mit einer Faust in die Mähne und schwang sich auf den bloßen Rücken des Pferdes.
Schon vorher hatte sich Tornado gebärdet wie verrückt, und nun verdreifachte sich ihr Toben. Sie machte ihrem Namen alle Ehre, sprang hoch und drehte sich in der Luft, buckelte und galoppierte im Kreis, um Renna abzuwerfen.
Aber Renna saß sicher auf Tornados Rücken und gab nicht auf. Sie schlang die Arme um den Pferdehals, der so mächtig war, dass sie kaum ihre Handgelenke umklammern konnte. Nachdem sie sich diesen Halt verschafft hatte, war der kräftige Hals des Tieres ihre einzige Welt, ihr einziger Gegner. Nichts anderes zählte.
Unter Aufbietung ihrer gesamten Kräfte fing sie an, gegen den Hals zu drücken.
Es schien kein Ende zu nehmen, doch nach und nach wurde Tornado ruhiger. Sie hörte auf zu buckeln und galoppierte über die Koppel, wobei sie die Hunde wahnsinnig machte, als die anderen Pferde ihr aus dem Weg rannten.
Renna übte weiterhin Druck aus, langsam und sicher, und allmählich verringerte die Stute ihr Tempo noch weiter und fiel in einen entspannten Kantergalopp. Renna lächelte. Ein entspannter Galopp war ein gutes Zeichen.
Sie lockerte den Griff um Tornados Hals, grub beide Fäuste in die Mähne und zog fest nach links. Als Tornado sich gehorsam in diese Richtung wandte, fing sie laut an zu lachen. Sie presste die Knie in die Flanken des Pferdes, löste eine Hand aus der Mähne, zog ihr Messer und klatschte mit der breiten, flachen Klinge gegen Tornados Widerrist. »Hü!«
Die Stute machte einen gewaltigen Satz nach vorn und fing wieder an zu galoppieren. Renna steckte das Messer zurück ins Futteral und griff wieder mit beiden Händen in die Mähne. Ein Ziehen hierhin und dorthin hätte das Pferd gelenkt, aber Renna ließ der Stute ihren Willen. Sie genoss das Hochgefühl, das sie erfüllte, als der Wind ihren langen Zopf peitschte und sie bei den machtvollen Sprüngen des Pferdes auf dem Rücken auf und ab hüpfte.
Sie beugte sich vor und brachte ihren Mund dicht an Tornados Ohr heran. »Du gehörst in die Nacht, Mädchen. Ich lasse es nicht zu, dass du so endest wie Bergsturz. Das ist ein Versprechen.«
Renna ritt an die Stelle des Zauns, wo Arlen und die anderen warteten, und brachte das Pferd zum Stehen.
»Hast du deine Wahl getroffen?«, fragte Arlen. »Ist es Tornado?«
Renna nickte. »Aber Tornado ist kein guter Name. Ich werde die Stute ›Versprechen‹ nennen.«
Das Abendessen auf dem Hengst-Anwesen war eine Angelegenheit für die ganze Familie, und diese Familie umfasste selbst den geringsten Arbeiter und die Waschfrau, insgesamt dreißig Leute. Sogar ein paar Hunde lagen auf Decken in der großen Halle, bereit, einige Speisereste zu ergattern. Renna und Arlen saßen bei Jon, Glyn und Nik am oberen Ende eines langen, auf Böcken stehenden Tisches, der schwer beladen war mit Speisen und Krügen voll Wasser und
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