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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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Liebende. Er wollte sie wegschieben, aber Aurnia hob den anderen Arm und stach ihm das Messer mit aller Kraft seitlich in den Hals. Dann drückte sie sich weg von ihm, sprang auf und stolperte rückwärts. Ein paar Schritte entfernt beobachtete sie, wie er die Hand hob und das Messer herausziehen wollte, doch seine Hand griff immer wieder ins Leere. Er gab ein grässliches ersticktes Geräusch von sich, und in Aurnia krampfte sich alles zusammen, als sie begriff, dass er vor ihren Augen starb. Ein Blutschwall quoll aus seinem Mund und seine aufgerissenen Augen wurden glasig. Dann sackte er vornüber auf den Tisch.
    »Ich habe …«, flüsterte sie fassungslos und ihre Stimme versagte. Sie hatte vorher nicht darüber nachgedacht, dass sie vielleicht töten müsste. Nun, nachdem es geschehen war, fühlte sie sich entsetzlich. Wie konnte sie, ohne mit der Wimper zu zucken, so heimtückisch …? Sie war auch nicht besser als dieser arme Kerl! Hilfesuchend sah sie sich um, dann kam ihr wieder zu Bewusstsein, wo sie sich befand. Der Kerker! Sie war doch aus einem bestimmten Grund hier! In fliegender Hast ging sie die Zellen ab. Sie waren alle leer, bis auf eine. Fest umklammerte sie die Gitterstäbe, als sie den Gesuchten betrachtete. Ja, sie hatte den Erwählten richtig eingeschätzt. Aber an die verwaisten Zellen links und rechts wollte sie jetzt nicht denken. Wichtig war in diesem Augenblick nur der Mann vor ihr. Die verkrüppelten Hände, die leeren Augenhöhlen und so mager war er geworden! Seine Haare hingen bis zu den Hüften, schmutzig und verfilzt. Aber es war unverkennbar Brone. Er saß auf einem recht sauberen Strohsack, Mórtas sorgte wohl tatsächlich für bessere Bedingungen. Den Kopf hatte der Gefangene leicht geneigt, als ob er lauschte. »Brone«, flüsterte Aurnia und ein Schluchzen entstieg ihrer Kehle. Unglauben zeigte sich in seinem Gesicht. »Warte, ich hole dich hier raus!«, sagte sie, als ob er wegrennen könnte, und eilte zurück zu dem Toten. Mit zusammengebissenen Zähnen nahm sie ihm den Schlüsselbund ab. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie Mühe hatte, die Schlüssel ins Schloss zu stecken. Es dauerte lange, bis sie den richtigen fand. Brone hatte sich erhoben und bewegte sich vorsichtig in ihre Richtung. Endlich war die Zelle offen. Sie ging ihm entgegen und nahm vorsichtig seinen Arm.
    »Komm mit, wir versuchen zu fliehen. Die Dämonen greifen die Stadt an«, sagte sie und führte ihn aus der Zelle.
    »Aurnia?«, fragte er unsicher.
    »Ja. Wir müssen leise sein. Ich weiß nicht, wie viele Flammenkrieger noch hier unten in den Kerkern sind«, raunte sie ihm ins Ohr.
    Brone nickte, aber sie konnte seine Verwirrung sehen. Später würde sie ihm alles erklären. Jetzt galt es, aus diesem verfluchten Gebäude und dann aus Kerlonrax herauszugelangen. Das war leichter gedacht als getan. Brone ging unsicher und stolperte immer wieder über den unebenen Boden, sie kamen nur langsam voran. Bei dem Ermordeten blieb sie noch einmal stehen. Schweren Herzens nahm sie ihm den Dolch ab und band sich den Gürtel um die Hüfte. Nach kurzem Zögern überwand sie sich und zog auch das Messer aus seinem Hals. Beinahe hätte sie sich erbrechen müssen und im Stillen bat sie den Toten um Vergebung. Aber sie brauchten möglicherweise noch etwas zur Verteidigung, wer wusste schon, wie vielen Flammenkriegern sie auf ihrem Weg begegneten. Mit dem Schwert des Soldaten konnte sie nicht umgehen.
    Vorne an der Tür horchte sie angespannt. Nichts! Vermutlich waren die Flammenkrieger mit den übrigen Gefangenen in der Bucht beim Hinrichtungsplatz. Wieder wurde ihr elend bei dem Gedanken, welch schreckliche Dinge sich tief unter ihr abspielen mochten. Doch sie konnte nicht alle retten, sosehr sie es auch wünschte. Sie gab sich einen Ruck und führte Brone Stufe um Stufe die Wendeltreppe nach oben. Der Maler war bereits nach dieser kurzen Strecke erschöpft und stolperte immer häufiger. Sie hatten beinahe den dritten Stock erreicht. Dort würde sie eine Pause machen, sie spürte, wie Brone von der Anstrengung zitterte.
    Bitte halte durch!, flehte sie im Stillen. Dann mussten sie stehen bleiben. Schwer atmend stützte sich der Maler auf ihre Schulter. Hätte sie noch an Jalluth geglaubt, dann würde sie jetzt beten. Ihre Verzweiflung wuchs, als sie an den langen Weg dachte, den sie vor sich hatten. Wie sollte er das schaffen?

    Das erste Licht des Tages würde bald die Dunkelheit verdrängen. Einer Statue gleich stand

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