Die Flammen der Dunkelheit
einer Laune heraus. Er erwartete zwar keine Antwort, aber es gab ihm das Gefühl, Gesellschaft zu haben, wenn er sich mit dem Tier unterhielt. Zu seiner Überraschung nickte der Vogel mehrmals, als hätte er ihn verstanden. Glic musste lachen, die Dohle war wirklich etwas Besonderes. Doch das Geräusch schien sie zu erschrecken, denn plötzlich flog sie auf. Zu Glics Erleichterung verschwand sie aber nicht, sondern flatterte von Ast zu Ast. Dabei schaute sie sich ständig zu ihm um, als wollte sie sich vergewissern, dass er ihr folgte. Nun, er hatte sowieso keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte, also konnte er ihr genauso gut hinterhergehen. Es sah so aus, als würde sie ihn führen. Vielleicht kannte sie sich hier wirklich besser aus als er. Mit der Zeit gewann er an Vertrauen, dass sie auf dem richtigen Weg waren. Und tatsächlich, der Wald erschien ihm weniger dicht. Oder kam es ihm nur so vor? Glic blieb stehen und blickte umher. Nein, die Bäume standen weiter auseinander. Und konnte er nicht sogar einen hellen Schimmer zwischen den Stämmen sehen? Aufgeregt setzte er sich wieder in Bewegung. Immer schneller ging er auf das Licht zu. Er bemerkte gar nicht, dass der Vogel hinter ihm zurückblieb.
Glic konnte sein Glück kaum fassen, er hatte den Waldrand erreicht! Er rannte die letzten Meter, um dann wie angewurzelt stehen zu bleiben. Das ungewohnt helle Licht tat in den Augen weh, und er blinzelte, bis er sich daran gewöhnt hatte. Vor ihm öffnete sich eine weite grasbewachsene Ebene. Glic staunte, zum ersten Mal sah er den Horizont. Wolken und Erde wuchsen zu einem dunklen Strich zusammen, der trennte und doch vereinte. Vereinzelt konnte er in der Ferne Dächer hinter hohen Hecken erkennen. Das mussten die Gehöfte und Dörfer der Bauern sein, von denen ihm die Alte erzählt hatte. Er platzte fast vor Neugier, sie aus der Nähe zu sehen. Doch er beschloss, die Nacht noch im Schutz des Waldes zu verbringen und sich erst am anderen Morgen nach Westen aufzumachen, wo die Stadt lag, in der dieser Schreiber namens Ardal leben sollte. Er suchte sich ein dichtes Gebüsch als Unterschlupf. Jetzt erst fiel ihm auf, dass die Dohle verschwunden war. Vor lauter Aufregung hatte er gar nicht bemerkt, dass sie davongeflogen war. Sein Bedauern währte nur kurz, zu spannend erschien ihm die Entdeckung der neuen Welt, die vor ihm lag.
Glics Schlaf war unruhig gewesen, und sobald ihm das Morgengrauen verriet, wo sich der Osten befand, machte er sich auf den Weg. Anfangs schlug Glic einen großen Bogen, wenn er eine Ansiedlung in der Ferne entdeckte. In einem jener Dörfer lebte seine Mutter, die versucht hatte, ihn nach der Geburt umzubringen, und er wollte nicht, dass sie ihr Werk noch vollendete. Vielleicht sah er ihr ähnlich genug, dass man ihn erkannte. So leuchtend rote Haare gab es wohl selten, und die seines Vaters waren schwarz gewesen, das hatte die Alte ihm versichert. Sonst konnte sie nicht viel von dem Fremden erzählen, außer dass er sein Leben gegeben hatte, um den Sohn zu retten. Es versetzte Glic jedes Mal einen Stich, wenn er an ihn dachte.
Nach einigen Tagen glaubte er weit genug vorwärtsgekommen zu sein, der Wald war längst aus seinem Blickfeld verschwunden, und er begann sich vorsichtig und immer noch in Deckung bleibend den Dörfern zu nähern und ihre Bewohner zu beobachten. Er wollte wissen, wie sie waren, diese Menschen, vor denen ihn die Alte eindringlich gewarnt hatte. Geschickt schlich er sich an die Häuser heran, lauschte den Gesprächen der Bauern und ihrer Kinder, schaute in der Dunkelheit durch Fenster in die von Talglampen erleuchteten Stuben. Manchmal, nachts, wenn Kälte und Einsamkeit überhand nahmen, kroch er in die Behausung der Wachhunde, die ihn beschnupperten und sich dann neben ihm zusammenrollten. Mit Anbruch des Tages verschwand er so unsichtbar, wie er gekommen war. Zum ersten Mal begegnete er Pferden, Kühen, Schafen und seltsamen haarlosen Schweinen. Vor allem die Kühe hatten es ihm angetan, er mochte ihre neugierige Art und die sanften Augen. Als er sicher war, weit genug von der alten Heimat entfernt zu sein, wurde er mutiger und riskierte ab und zu eine Begegnung. Meist erntete er nicht mehr als einen neugierigen Blick, wenn er überhaupt Beachtung fand. Darüber war er erleichtert, aber auch ein wenig gekränkt. Zu essen fand er in den Scheunen und Gärten genug für seine bescheidenen Bedürfnisse. Gräsersamen, Wasserkresse oder Moosbeeren, die hier auf Feldern
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