Die Flammen der Dunkelheit
er versucht, zum Waldrand zu gelangen, aus Neugier, weil er Menschen sehen wollte, aber immer wieder hatten sich ab einer bestimmten Entfernung zur Hütte seine Sinne verwirrt, und er wusste nicht mehr, in welche Richtung er gehen musste. Er war davon überzeugt, dass die Alte ihn mit einem Zauber festgehalten hatte. Jetzt war sie tot und die Magie unwirksam geworden, zumindest hoffte er das. Sonst war er vor ein Problem gestellt, für das es seiner Erfahrung nach keine Lösung gab, denn er war nicht auf den Kopf gefallen und hatte längst alles versucht, um den Bann zu brechen. Kein Wunder, dass die Menschen Dämonen fürchten, dachte er. Die Alte war nur ein Mischling wie er und trotzdem schien ihre Macht unbegrenzt. Nein, das konnte unmöglich sein, denn sonst hätte sie seinen Vater sicher gerettet. Sie hatte ihm doch einmal erzählt, woran Cleas gestorben war. Glic blieb stehen und zog die Stirn kraus, dann erhellte sich sein Gesicht. Richtig, Eisen war das Einzige, das Dämonen besiegen konnte! All die Warnungen vor dem tödlichen Metall hatten ihn nur umso neugieriger gemacht. Nun konnte er endlich den unbändigen Wissensdrang stillen, Menschen und Eisen kennenlernen, wenn er nur aus dem verflixten Wald herausfand!
Genau vermochte er nicht zu sagen, wie viele Tage seit dem Tod der Alten und dem Aufbruch aus der Hütte vergangen waren, darauf hatte er zu wenig geachtet, aber ein gutes Dutzend waren es bestimmt. Der Wald nahm kein Ende. Bestimmt war er in die falsche Richtung gelaufen, er wollte einfach nicht glauben, dass der Zauber immer noch wirksam war und ihn im Kreis herumführte. Nahrung fand er genug, er hatte früh gelernt, sich selbst zu versorgen.
Manchmal, wenn er sich etwas sicherer fühlte, pfiff er die Lieder vor sich hin, die ihm Vögel beigebracht hatten, und freute sich, wenn sie antworteten. Die Sonne war längst wieder verschwunden, aber er erinnerte sich gerne an die Wärme auf der Haut und das strahlende Licht, das selbst in die finstersten Winkel des Waldes gedrungen war. Es war schon das zweite Mal im Leben, dass er dies erleben durfte. Aber heute konnte er es viel mehr schätzen als damals, denn er war wesentlich älter und wusste inzwischen um die Seltenheit des Ereignisses.
Einige Stunden später saß er auf einem umgestürzten Baumstamm, ließ die Füße baumeln und kaute vergnügt eine Handvoll Moosbeeren, die er soeben gesammelt hatte. Er liebte den säuerlichen Geschmack, der alles so lustig pelzig werden ließ. Als er klein war, hatte er manchmal nachgeschaut, ob ihm Haare auf der Zunge wuchsen. Die Alte hatte nur den Kopf geschüttelt und etwas von »Unfug« gemurmelt. Aber Glic fand, es fühlte sich genauso an!
Er warf eine Beere in die Luft, legte den Kopf in den Nacken und fing sie mit geöffnetem Mund wieder auf. Im selben Augenblick landete eine Dohle am anderen Ende des Baumstammes. Mit schief gelegtem Kopf schaute sie ihn an, ihr schwarzes Gefieder glänzte, als wäre es nass.
»Willst du auch eine?«, rief er übermütig und staunte gehörig, als der Vogel auf ihn zuhüpfte. Neugierig streckte Glic die Hand aus und war gespannt, ob sich das Tier die Belohnung holen würde. Rabenvögel waren normalerweise wesentlich scheuer als andere Tiere im Wald und hielten Abstand. Nachdem die Alte ihm erzählt hatte, dass Menschen Tiere jagten, um sie zu essen, hielt er das für ein Zeichen von Klugheit. Doch dieser Vogel war zutraulich. Vorsichtig pickte er die von Glic dargebotene Beere auf. Der Junge musste sich zusammenreißen, um nicht laut zu jubeln, denn so etwas hatte er noch nie erlebt. Glücklich fütterte er die Dohle mit allem, was er hatte. Als er nichts mehr in seinen Taschen fand, beschloss er aufzubrechen. Er musste noch einen Unterschlupf für heute Nacht suchen, denn vermutlich würde er viel später als erhofft aus dem Wald herausfinden.
»Magst du mitkommen?«, fragte er den Vogel.
Die Dohle legte den Kopf schräg und flog auf den Ast eines Baumes. Von dort aus beobachtete sie ihn. Glic nahm sein Bündel und machte sich auf den Weg. Immer wieder schaute er nach oben und freute sich, dass der Vogel ihm folgte.
Nach einer Weile hielt Glic erneut an und sah sich um. In welche Richtung sollte er jetzt weitergehen? Obwohl er glaubte, den Wald gut zu kennen, war er unsicher. Bislang konnte er einfach nicht sehen, ob es an irgendeiner Stelle lichter wurde. Die Dohle im Geäst über ihm keckerte.
»Weißt du, wie ich aus dem Wald herauskomme?«, fragte Glic aus
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