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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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bevor der Erwählte eine Frage stellen konnte.
    Dieser musste den Grund nicht aus dem Munde der Zofe hören, denn er sah das Echo seines eigenen Hasses in Dervlas Augen. Eine Weile schaute er sie schweigend an, er wusste, dass dies mehr Angst erzeugte als jedes Wort, das er hätte sagen können. Mit einer Handbewegung konnte er ihr Schicksal besiegeln, aber er brauchte sie noch.
    »Lasst sie gehen«, sagte er ruhig. Die Flammenkrieger befreiten sie von den Ketten und traten gehorsam zur Seite. Dervla wartete unsicher, ob der Erwählte noch etwas anordnen würde. Als nichts weiter geschah, ging sie langsam rückwärts zur Tür. Auch jetzt rührte sich niemand. Sie fasste sich ein Herz und verließ den Raum. Man konnte ihre Schritte hören, die immer schneller den Gang entlang-hetzten, schließlich begann sie zu rennen.
    »Euer Auftrag?«, fragte der Erwählte die verbliebenen Männer.
    »Wird gerade ausgeführt!«, antwortete einer von ihnen. Der Erwählte nickte und entließ sie.
    Ganz langsam wanderte er die Wände entlang, nachdem die Flammenkrieger ihn allein gelassen hatten. Unermüdlich zog er seine Kreise, ein oft vollzogenes abendliches Ritual, um die innere Unruhe zu zähmen. Heute half alles Gehen nicht, er musste hinab.
    Es war noch nicht allzu spät, im Heiligtum knieten mehrere Priester im Gebet. Einer von ihnen sprang auf. Er begleitete den Erwählten bis zur Mitte des Gebäudes und die sich dort befindlichen Stufen hinab. Sie erreichten einen achteckigen, schwarz gestrichenen Raum mit acht Nischen. Der Erwählte passierte den Schrein mit den Schriften Jalluths und würdigte ihn keines Blickes. In der Nische gegenüber der ewig lodernden Flamme befand sich eine eiserne Tür. Der Priester ging voraus und öffnete sie, um den Erwählten durchzulassen. Er selbst blieb im Heiligtum zurück, das Oberhaupt der Priesterschaft wünschte keine Begleitung auf seinen Wegen.
    Heute gelangte er ohne Schwierigkeit nach unten. In dem Raum mit der Quelle stockte er plötzlich und schaute um sich, als wäre er aus einem fiebrigen Albtraum erwacht. Sein Blick richtete sich auf das eine Tor, das ihn von seinem Ziel trennte. Wollte er wirklich dorthin? »Du bist allein, du bist allein«, murmelte das Wasser zu seinen Füßen.
    Schon hob er die Hand, um den Brunnen auszutrocknen, und ließ sie wieder sinken. Was nützte es, die Quelle zum Schweigen zu bringen? Die Wahrheit blieb trotzdem bestehen. Wie lange war es her, dass er mit jemandem geredet hatte? Die Weisungen und Befehle an Untergebene waren kein Ersatz für den Austausch von Gedanken und Wünschen. Manchmal glaubte er an ungesagten Worten zu ersticken. Ja, er hatte noch Träume, selbst nach all den sich ins Unendliche dehnenden Jahren! Er hasste sich dafür und für die Sehnsucht, sie zu teilen, sie preiszugeben. Sie hatte dieses Wissen nicht verdient! Er musste umkehren! Wieder focht er einen inneren Kampf, den er, wie meist, verlor. Es zog ihn so sehr zu dem Sarg, und er öffnete die Tür mit solchem Schwung, dass sie gegen die Wand krachte. Er schien den Lärm, der durch die Gänge hallte, nicht zu bemerken. Langsamer geworden näherte er sich seinem Ziel. Nur einen Augenblick wollte er sie anschauen und dabei stumm bleiben. Er sollte aufhören ihr die Zeit zu vertreiben und eine willkommene Abwechslung zu sein! Nie durfte sie erfahren, wie sehr er sich nach Antwort sehnte, während er gleichzeitig genoss, dass sie ihm zuhören musste, ohne selbst sprechen zu können. Mit zusammengepressten Lippen betrachtete er die weiße Gestalt, bis die Worte sich nicht länger zurückhalten ließen und aus ihm herausbrachen.
    »Sie sind alle tot, niemand wird dich retten. Bedrückt dich das?« Seine Stimme wurde leiser, nachdenklicher. »Auch ich wurde von allem getrennt, was mir lieb und teuer war. Du hörst mich reden, siehst meine Bewegungen, aber mich gibt es nicht.« Als er merkte, dass er zu zittern begann, hielt er inne, um sie gleich darauf anzuschreien: »Einen schrecklichen Tod bin ich gestorben!« Erschrocken wich er zurück. Wie schaffte sie es nur, dass er sich kaum in der Gewalt hatte? Vorsichtig umkreiste er den Sarg, versuchte zu spüren, ob ihre Macht von Neuem erwachte. Was würde er dann tun? Sie töten? Schnell überprüfte er, ob sich der Dolch noch außen in seiner Halterung an der Stirnseite des eisernen Gefängnisses befand. Eines Tages würde er ihn benützen, eines Tages …
    War er jetzt bereit dafür? Nein, er hatte ihre Hilflosigkeit noch nicht

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