Die Flammen der Dunkelheit
genügend ausgekostet. Falls er jemals genug bekommen könnte! Aber ihnen blieb Zeit, sehr viel Zeit. Er fühlte die Last und wollte sie teilen.
»Ich kenne deine Einsamkeit. Spürst du ihre eisige Kälte? Wie sie sich unter die Haut frisst, in den Adern fließt, bis sie das Herz erreicht und dein Innerstes erstarren lässt.« Er lachte auf. »Eine Eiskönigin ohne Volk!«
Das Volk war tot, und er tat alles dafür, die letzten Spuren auszulöschen. Nichts sollte mehr an den unseligen Tag erinnern. »Du willst keine Wolken, hast du verkündet, als du unser aller Schicksal entschieden hast. Sie sind dir zu weich, verwässern nur alles, sagtest du. Klarheit und Härte bräuchtest du.« Wieder lachte er. Dann stellte er sich ganz dicht an das Kopfende des Sarges. »Was glaubst du, könnte das ein Irrtum gewesen sein?« Er beugte sich vor und hauchte ihr ins Gesicht. »Ist dir kalt?« Seine Finger schlüpften durch das Gitter, als gehörten sie nicht zu ihm, strichen über ihre kühle Haut. Die Berührung schreckte ihn auf und er trat einen Schritt zurück. Dann noch zwei, drei, vier … und wieder einen nach vorne, weil er sie nicht mehr sehen konnte. Aber er wollte, musste sie sehen! Das kalte, schöne Gesicht, das ihn bis in den unruhigen Schlaf verfolgte. Eines Tages würde er diesen Bann brechen und ihr auch das Letzte an Macht nehmen, das ihr geblieben war, das wusste er. Er konnte nur nicht sagen wann und wie. Doch sein Leiden musste ein Ende haben. Die Wut darüber, dass sie nie aufhörte ihn zu quälen, nahm ihm fast den Atem. Es wurde Zeit, den Spieß umzudrehen!
»Du hast aus heiterem Himmel Frost bevorzugt, jenen eiskalten Gefährten, nun hast du ihn bekommen«, schleuderte er ihr ins Gesicht. »Etwas anders als geplant, aber auch du bestimmst nicht den Lauf der Welt, obwohl du es in deinem Hochmut geglaubt hast. Wie fühlt sie sich an, diese Ohnmacht, wenn man keinen Deut an seinem Schicksal ändern kann? Du hast falsch entschieden! Hast du dich das selbst schon gefragt in deinem Sarg?«
Er lauschte, als ob er auf Antwort wartete. Vielleicht horchte er auch nur den eigenen Sätzen hinterher.
»Ja, du wolltest die Macht wählen, alles andere war nur ein Spiel für dich. Wie grausam du bist! Dabei hattest du die wahre Macht nicht erkannt!« Triumph mischte sich unter den Hass in seiner Stimme.
Wie still sie dalag. Sie wirkte immer durchscheinender, die goldenen Locken waren blass wie Stroh geworden. Sie war die Einzige gewesen, deren Haar der Sonne glich, und die würde bald erlöschen. Er war sicher, sie litt unendliche Qualen. Diese Vorstellung rührte etwas in ihm an, doch er drängte die Gedanken aus dem Bewusstsein und rettete sich zurück in den kalten Zorn.
»Erwartest du Mitgefühl? Woher soll es kommen? Du hast meine Seele verbrannt!«
Seele – wie leicht ihm das Wort über die Lippen gegangen war! Noch heute war er in einem Zustand des Schocks über ihren Verlust, auch wenn er den Mann, der er einmal gewesen war, vor seinem inneren Auge nicht mehr sehen konnte. Die Vergangenheit war nichts als Dunkelheit. Nur der Schmerz war lebendig geblieben und leuchtete grell.
III
Leben gegen Leben
Die Sonne verschwindet unter dem Horizont
und die Nacht wird nicht weichen.
Ein Mantel wird über viele gebreitet,
die eins sind.
Die 3. Prophezeiung Maidins
Die Worte dieser Prophezeiung scheinen so klar zu sein, dass niemand daran zweifelt, was sie bedeuten. Man ist ein wenig in Sorge über die Bestimmtheit, mit der Maidin behauptet, dass die Nacht nicht weichen wird, aber das ist auch schon alles. Da wendet man sich lieber der siebten, hoffnungsvolleren zu. Wie seltsam, dass Mensch und Dämon sich so gleichen! Beide verdrängen das Unangenehme nur zu gern. Sonst würde sich doch irgendjemand daran stoßen, dass man nicht »unter dem Horizont«, sondern »hinter dem Horizont« sagt. Maidin beherrschte die Sprache, Fehler unterliefen ihr nie. Abweichungen haben also einen Sinn, den es zu erschließen gälte. Meinen Hinweis darauf hält Aithreo für Wortklauberei. Selten war ich verblüffter über sein Verhalten! Es ist keine Eitelkeit, die mich dazu drängt, an dieser Sache festzuhalten, sondern der Glaube, dass Maidin nichts dem Zufall überließ. Sie wollte uns einen Hinweis geben, der uns vielleicht vieles ersparen würde, hätten wir ihn verstanden. Dass Aithreo dies nicht sehen will, zeigt nur wieder, auf beiden Seiten gibt es keinen Anführer, der unfehlbar wäre. Möglicherweise hielt Maidin ihr
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