Die Flammen der Dunkelheit
konnte er sagen, warum sie geflohen war. Aber es versetzte ihm einen Schock, als er immerhin verstand, dass es mit der Kette zusammenhing, die sie ihm schon als Säugling umgehängt hatte. Sie hatte das hier verursacht und ihn dann im Stich gelassen! Er vertraute darauf, dass seine Mutter sich besinnen würde und ihren Sohn hier herausholte, sobald sie erfuhr, dass er in einer Zelle eingesperrt war. Immer wieder verlangte er von dem Erwählten den Grund für die Gefangennahme zu erfahren. Dieser wollte ihm seine Unwissenheit einfach nicht abnehmen. Doch als Dallachar darauf beharrte, ließ der Erwählte einen Spiegel bringen.
»Sieh selbst!«, sagte er mit eisiger Stimme.
Verwirrt schaute Dallachar sein Abbild an. Er bemerkte nicht sofort, was anders war, aber dann war der Schrecken umso größer. Die Augen! In den Augen wirbelten Grautöne wie vom Sturm getriebene Wolkenfetzen. Der Spiegel glitt ihm aus der Hand und zerschellte auf dem Stein. Plötzlich erinnerte er sich an die Schreie im Raum der Mutter während des Aufruhrs. Ein Dämon, hatte jemand gerufen, aber er hatte es nicht mit sich selbst in Verbindung gebracht. Wie hätte er auch wissen sollen, dass er einer war!
»Wie ist das möglich?«, flüsterte er. Immer wieder stellte er diese Frage, wurde lauter, bis er den Erwählten verzweifelt anschrie.
Er erhielt keine Antwort und für einige Zeit blieb er allein in seiner Zelle zurück. Jetzt hörte er das Stöhnen, das durch die Gänge hallte, nahm den grausigen Gestank wahr und Angst stieg in ihm auf. Sie wuchs ins Unermessliche, als er abgeholt und in eine Kammer mit seltsamen Geräten geführt wurde. In einem Feuer sah er Eisen glühen. Noch während sie ihn an einem Gestell festbanden, weigerte er sich zu glauben, dass sie ihm wirklich etwas antun würden. Er war doch ein Prinz und noch nicht mal erwachsen! Doch die Folterknechte machten keinen Unterschied zwischen Mann, Frau oder Kind. Für sie war er nur ein verabscheuungswürdiger Dämon und diesen Abscheu prügelten, schnitten und brannten sie in ihn hinein, bis von Dallachar, dem Königssohn und Thronerben, nicht mehr übrig blieb als ein zerbrochenes Etwas auf dem Boden eines Abgrunds.
Als er in seiner Zelle wieder zu sich kam, war undurchdringliche Dunkelheit um ihn und in ihm, in Herz und Bewusstsein. Dunkelheit, so finster, dass selbst die Hölle der Priester ein lichtvoller Ort dagegen war.
Wieder einmal hatte Ardal eine unruhige Nacht voller Sorgen verbracht. Ein Traum hatte ihn aus dem Schlaf gerissen, ein Traum, in dem ein rothaariges Kind ihm die Arme entgegenstreckte, in den Händen die Sonne haltend. Ardal konnte die Hitze spüren und sah Flammen aufzüngeln. Sie steckten ringsum alles in Brand. Benen kam hinzu, er war als Wachsoldat gekleidet, und das Feuer erfasste ihn. Während Ardal verzweifelt versuchte, es zu löschen, verbrannte er mit seinem Sohn. Er konnte das Häufchen schwarzer Asche sehen, das von ihnen übrig blieb. Als der Wind es wegblies, wachte er schweißgebadet auf. Diese Bilder konnten nur eine Bedeutung haben: Das Kind, das er aufnehmen sollte, war tatsächlich eins der beiden aus der Prophezeiung. Damit wurde eine weitere seiner Befürchtungen bestätigt: Die Rettung ihres Volkes würde ihm und Benen den Tod bringen.
Es gelang ihm nicht wie üblich, einen Rest Zuversicht zusammenzukratzen und sich an den Entschluss zu klammern, alles dafür zu tun, dass dies nie eintreten würde. Wie sollte er weitermachen, wie seine Aufgabe fortführen mit dieser furchtbaren Gewissheit? Ja, wie nur noch einen einzigen Tag in der Schreibstube arbeiten, als wäre alles wie sonst? Wie sollte er es schaffen, sich nichts anmerken zu lassen vor den anderen, vor Benen? Er fand auf keine der Fragen eine Antwort.
Am Morgen fühlte er sich so elend, dass er beschloss ausnahmsweise erst am Nachmittag in die Schreibstube zu gehen, und schickte ein Nachbarskind mit der Nachricht dorthin. Die folgenden Stunden nutzte er nicht sinnvoll, sondern lag einfach auf dem Bett und starrte die Decke an. Kam Benen herein, um nach ihm zu sehen, stellte er sich schlafend. Als die Mittagsstunde vorbei war, riss er sich endlich zusammen und stand auf. Benen hatte den Tisch gedeckt und sich Mühe gegeben, alles besonders schön herzurichten. Lustlos stocherte Ardal in der Suppe, die langsam kalt wurde. Er wollte sie gerade resigniert von sich schieben, da klopfte jemand beharrlich ans Fenster. Ardal rief Benen zurück, der sofort losgestürzt war. Man
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