Die Flammen der Dunkelheit
gewöhnlicher Rabe war es keinesfalls, das hatte er oft genug festgestellt. Aber da die Dohle nicht sprechen konnte – zumindest hatte sie das bisher nie getan –, würde er es wohl kaum herausfinden. Doch Glic war sich nicht sicher, was noch alles an ungewöhnlichen Fähigkeiten in ihr steckte.
Auf dem nächsten, wesentlich breiteren Absatz machte er eine längere Pause. Vorsichtig legte er Dallachar neben sich ab. Die Dohle hüpfte auf einen der Arme des Verletzten. Unwillkürlich wollte Glic sie verscheuchen aus Angst, dies würde Dallachar zu große Schmerzen bereiten, aber er konnte sich gerade noch davon abhalten. Wenn es wirklich stimmte, dass der Vogel ihn mit frischen Kräften versehen hatte, dann konnte er vielleicht auch etwas für den Verwundeten tun. Gespannt beobachtete Glic die beiden. Der Vogel schien einfach nur ruhig dazusitzen. Aber nach einer Weile kam Dallachar zu sich. Sein Blick war lebendiger als unten am Strand und er hatte aufgehört zu stöhnen. Glic wagte nicht ihn zu fragen, ob es ihm besser ginge. Lieber wollte er sich die Hoffnung bewahren als die möglicherweise niederschmetternde Wahrheit erfahren. Still wartete er ab. Nichts weiter geschah. Als Glic zum Aufbruch drängte, konnte ihn Dallachar immerhin ein wenig unterstützen und sich mit vereinten Kräften auf Glics Rücken hieven. Vor allem wimmerte er nicht mehr so herzergreifend. Ob Dallachar sich mit Macht zusammenriss? Glic wünschte sich glühend, dass es an etwas anderem lag und die Schmerzen nachgelassen hatten.
Mühsam kletterte er Stück für Stück nach oben. Es wurde dämmrig, was die Sache nicht einfacher machte, und schließlich brach die Nacht herein. Glic konnte wesentlich schlechter sehen und so arbeitete er sich hauptsächlich mit dem Tastsinn voran. Die Last wurde schwerer und schwerer, obwohl Dallachar versuchte ihn zu unterstützen, so gut ihm das in seinem Zustand überhaupt möglich war. Glic hatte noch viel zu weit zu klettern, aber da schwammen schon Fünkchen vor den Augen und sein Atem ging pfeifend. Er spürte jeden Muskel und das Ziehen wurde zusehends unerträglicher. Schwindel erfasste ihn in Wellen. Seine Knie wurden immer weicher, irgendwann würden ihm die Beine nicht mehr gehorchen. Manchmal griff er ins Leere. Würde er etwa kurz vor dem Ziel abstürzen? Dann meinte er zu merken, wie der Vogel auf Dallachar landete und schalt sich für solch einen dummen Gedanken. Nein, er würde nicht scheitern! Dieser Entschluss schenkte ihm ein wenig Energie und Glic bewältigte die nächste Etappe.
Sie mussten noch etliche Pausen einlegen, an mehr oder weniger bequemen oder geeigneten Stellen, bevor Glic endlich die Kante der Klippe unter den Händen spürte. Fast hätte er geweint, so erleichtert und gleichzeitig erschöpft war er, als er sich und die schwere Bürde nach oben zog. Irgendwie schaffte er es noch, Dallachar bis zur Mauer zu schleppen, damit sie sich in deren Schatten verstecken und nicht auf Anhieb von oben gesehen werden konnten. Dort brach er zusammen. Kurz glaubte er, eine Hand in seiner zu fühlen, dann spürte er nichts mehr.
Ein Zupfen weckte ihn. Glic sah, wie die Dohle an seiner Jacke zog, bevor er recht begriff, wo er sich befand. Dann kehrte die Erinnerung zurück und mit einem Ruck setzte er sich auf. Zu Glics Erleichterung war es immer noch dunkel. Bei Tag würden sie niemals unentdeckt durch die Stadt kommen. Dallachar lag still neben ihm, hatte die Augen aber geöffnet. Die Dohle flatterte wiederholt über die Mauer und wieder zurück zu ihnen. Glic verstand es als Signal zum Aufbruch. Vielleicht wusste sie durch einen Erkundungsflug, dass die Luft rein war. Er zögerte nicht lange und half Dallachar auf die Beine. Irgendwie gelang es ihnen die Mauer zu überwinden, und dann standen sie in der menschenleeren Gasse. Obwohl er sich ein bisschen erholt hatte, besaß Glic nicht mehr die Kraft, den Verletzten zu tragen. Er griff ihm stützend unter die Arme und versuchte so viel Gewicht wie möglich von Dallachar abzufangen. Gemeinsam schwankten sie an der Häuserwand entlang, immer dem Vogel hinterher, der ihnen die Richtung wies. Glic hatte keine Ahnung, ob das Tier den direkten Weg nahm und der ihm nur wegen seiner Erschöpfung so lang erschien oder ob sie tatsächlich Umwege gingen, um nächtlichen Spaziergängern auszuweichen. Endlich kamen ihm die Häuser bekannter vor und dann standen sie zu seiner Erleichterung vor Ardals Haus. In einem der Fenster sah er Licht, deshalb
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