Die Flammen der Dunkelheit
starrte nur wie gebannt in das Gesicht des Offiziers, der in einem Kampf den linken Augapfel verloren hatte und in der Höhle als Ersatz eine silberne Kugel trug. Schließlich ließ der Mann von ihm ab, doch Glic hatte das unangenehme Gefühl, dass er von nun an unter ständiger Beobachtung von Silberauge, wie ihn alle nannten, stand. Wie zur Bestätigung hielt sich die Dohle fern von ihm. Er konnte sie die Dächer entlangfliegen sehen und die Türme umkreisen. Ab und zu ließ sie sich auf einer Fensterbrüstung nieder. Aber sie kam nicht mehr in seine Nähe, solange er Wache stehen musste. Nur noch nachts, wenn alle anderen fest schliefen, besuchte sie ihn hin und wieder im Schlafsaal.
Das Leben im Palast war trostlos geworden und Glic sehnte sich nach Abwechslung. Doch die erhoffte Veränderung war anders, als er es gewünscht hatte. Er merkte nicht einmal, dass das Verhängnis seinen Lauf nahm, denn er stand unten im Tor zusammen mit Dorc Wache, als die Dohle hoch über ihnen auf dem Sims vor einem geöffneten Fenster landete. Neugierig betrachtete sie den Raum, um plötzlich aufgeregt hin und her zu trippeln. Kurz darauf flatterte sie in das Zimmer und landete neben einer geöffneten kleinen Truhe auf einer Anrichte, die mit verstreutem Schmuck bedeckt war. Mit schief gelegtem Kopf beäugte sie den verbliebenen Inhalt des reich verzierten Holzkästchens. Dann pickte sie hastig nach einem goldenen Ring mit einem riesigen, leuchtenden Goldtopas und zog ihn aus der Schatulle. Das Schmuckstück im Schnabel flog sie zum Fenster hinaus und nach oben zum Dach, aber ihr Flug war nicht so elegant wie sonst. Sie taumelte regelrecht über die Ziegel und verlor immer wieder an Höhe, als hätte das Diebesgut ein ungewöhnliches Gewicht. Schrille Schreie erklangen und drei Schatten glitten über die Dächer. Die Dohle hatte offensichtlich übersehen, dass die Falkner unten im Hof mit ihren Greifvögeln übten. Diese glaubten an leichte Beute und nahmen die Verfolgung auf. Eine wilde Jagd begann und ein ums andere Mal konnte die Dohle einzig durch einen gewagten Richtungswechsel entkommen. Doch diese ließen sie immer weiter in die Tiefe sacken. Inzwischen flogen sie um die Stallungen und die Dohle hielt sich dicht an der Wand. Ganze Schwärme von aufgeregten Tauben kreuzten ihren Weg und lenkten die Jagdfalken ab, doch nur für kurze Zeit. Zumindest fiel die Dohle durch das Gewimmel den Falknern nicht auf, die ein Schwätzchen hielten im Glauben, abends Taubenbraten serviert zu bekommen. Aber die Verfolger rückten näher. Mit letzter Kraft zog sie nach oben und hinüber zu den Unterkünften der Wachsoldaten. Die Greifvögel hätten fast schon ihre Schwanzfedern packen können, da flog sie durch eines der offenen Fenster in den großen Schlafsaal. Im letzten Augenblick drehten die Falken ab, ihre enttäuschten Schreie ertönten noch lange.
Es dämmerte bereits, da geriet der ganze Hof in Aufruhr. Die Königin hatte das Fehlen eines Ringes entdeckt. Das Tor wurde verriegelt und Soldatentrupps durchkämmten Raum für Raum den Palast und durchsuchten die Bewohner, doch der Ring blieb verschwunden. Nachdem sie das Haus vom Dach bis zu den Kellern auf den Kopf gestellt hatten, kamen die Nebengebäude dran. Durch die ausgiebige Suche erschöpft, aber immer noch verbissen gingen sie nicht zimperlich vor und hinterließen auch hier eine Spur der Verwüstung. Die ganze Nacht waren sie auf den Beinen und der Morgen graute bereits, da wurden sie endlich fündig.
Glic und Dorc durchsiebten in einem Stall gerade feuchtes schimmliges Stroh, als sie zu ihrem Kommandanten gerufen wurden. Verwundert traten sie in den karg eingerichteten Raum, der voller grimmig dreinschauender Soldaten war. Silberauge saß hinter seinem Tisch und spielte mit einem Ring. Licht fing sich in dem goldenen Stein und zauberte Muster auf Wände und Decke. Silberauge lächelte. Doch dieses Lächeln war wie fortgewischt, als sein Blick auf die beiden Freunde fiel. Deren Erstaunen wandelte sich in eisigen Schrecken, als sie erfuhren, dass das Diebesgut unter Glics Kopfkissen entdeckt worden war.
»W-wie k-kann das sein?«, stotterte Glic.
»Nun, das möchte ich gerne von dir hören«, erwiderte Silberauge mit sanfter Stimme. Glic ließ sich davon nicht täuschen, aber auch wenn er bereitwillig eine Erklärung liefern würde, er hatte keine Vorstellung, wie der Ring in sein Bett gekommen war. In völliger Ratlosigkeit blieb er stumm, was hätte er auch sagen
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