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Die Flammen der Dunkelheit

Die Flammen der Dunkelheit

Titel: Die Flammen der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Evelyne Okonnek
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Sinn gekommen war, was für Folgen die Tricksereien, wie er es für sich nannte, haben könnten. Der Hinweis auf seine eigene Sicherheit hätte vielleicht nicht genügt, aber den Freund wollte er keinesfalls für dieses Vergnügen büßen lassen. Obwohl es ihm schwerfiel, darauf zu verzichten, hob er schließlich eine Hand wie zum Schwur, sagte aber nichts, denn in seinem Zustand war Reden zu schmerzhaft. Doch Dorc verstand ihn auch ohne Worte und nickte. Die nächsten Tage verbrachte er damit, bei jeder sich bietenden Gelegenheit nach Glic zu sehen, denn der Verletzte weigerte sich, in die Krankenstube zu gehen, und wollte sein Lager nicht verlassen. Dorc konnte das bei den Quacksalbern dort gut nachvollziehen und hoffte nur, der Freund käme nicht wieder auf dumme Gedanken.
    Davon war Glic weit entfernt – im Moment jedenfalls. Dorc hatte ihm mit seinem Hinweis einen gehörigen Schrecken eingejagt. Nein, er wollte niemals am eigenen Leib erfahren, wie es in den Kerkern des Heiligtums zuging. Einmal hatte er den Erwählten von Weitem gesehen und das war genug. Obwohl der ganze Exerzierplatz zwischen ihnen gelegen hatte und der Erwählte mit seiner Leibwache ziemlich schnell im Gebäude des Kommandanten verschwunden war, fiel augenblicklich so etwas wie eine lähmende Kälte über alle Anwesenden. Anders konnte Glic die Stimmung nicht beschreiben, die ihn und seine Kameraden plötzlich überkam. Kein Pfeil wollte ins Ziel gehen, niemand brachte noch genügend Konzentration auf, selbst ihr Lehrmeister war nicht mehr bei der Sache, und nach einer Weile beendeten sie die Schießübungen und räumten schweigend Bogen, Pfeile und Scheiben zusammen. Vielleicht wollten sie auch nur einem weiteren Zusammentreffen aus dem Weg gehen, obwohl die Bezeichnung »Treffen« eigentlich übertrieben war. Trotzdem, die Ausstrahlung des Oberhauptes der Jalluthiner war so eisig und mächtig, dass sie selbst auf größere Entfernungen hin alle beherrschte. Sogar die Tauben auf den Dächern schienen zu verstummen, aber das konnte er sich auch nur einbilden. Zum ersten Mal hatte sich Glic jedoch gefragt, wie Ardal es eigentlich aushielt, sich Tag für Tag in die Nähe dieses … dieses … – ihm fehlten buchstäblich die Worte – zu begeben, um seine Arbeit zu tun. Vermutlich ließ sich der Oberpriester nicht oft in der Schreibstube blicken, aber in dem ganzen Gebäude müssten die Wände mit einer Eisschicht überzogen sein, dachte er und fröstelte unwillkürlich. Nein, er hatte wirklich keine Lust, dem Erwählten in die Finger zu geraten! Lieber verzichtete er auf das Vergnügen und ließ das Kartenspiel sein. Es blieb ihm wenigstens noch die Dohle, die genau in diesem Augenblick durch eines der offenen Fenster flatterte und sich auf seine Decke setzte. Er konnte ihre Krallen durch die Wolle spüren.
    »Na, was hast du angestellt?«, fragte er. Der Vogel legte den Kopf schief, als wäre er entrüstet, und Glic musste lächeln. Sanft strich er über die glänzenden Federn und fühlte sich seltsam getröstet. »Du kannst jetzt nicht bleiben«, sagte er leise. »Die anderen kehren bald zurück und ich befürchte, dass sie dich jagen! Komm morgen wieder, aber pass auf dich auf, hier gibt es ein paar gute Bogenschützen.«
    Die Dohle nickte und breitete die Flügel aus. Glic wunderte sich schon lange nicht mehr, dass sie anscheinend alles verstand, er hatte sich daran gewöhnt, und vielleicht war es wirklich so, wer wusste das schon, Dohlen waren überaus schlaue Tiere. Sehnsüchtig sah er dem Vogel nach, der hinaus in den dunkler werdenden Himmel flog, und wünschte, er wäre ebenso frei.
    Die Dohle nutzte ihre Freiheit nicht, um aus der Stadt hinauszufliegen, sie blieb in der Nähe des Palastes und mied offenes Gelände. Einem schwarzen Schatten gleich glitt sie lautlos über Dächer und an Mauern vorbei, bis sie in einem versteckten Winkel einen sicheren Schlafplatz gefunden hatte. Morgens, sobald seine Kameraden aufgebrochen waren, kehrte sie zu Glic zurück, wo sie mit Vorliebe an seinen roten Locken zupfte oder versuchte ihm die Decke wegzuziehen.
    Lange durfte Glic sich nicht ausruhen. Obwohl noch nicht alles verheilt war und die Prellungen nach wie vor schmerzten, musste er vier Tage später wieder zum Dienst antreten. Er glaubte fest daran, dass das die Strafe war, weil er seinem Kommandanten nichts verraten hatte. Dieser hatte ihn ausgiebig befragt, vermutlich hegte er ohnehin einen Verdacht. Die Drohungen waren umsonst, Glic

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