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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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verschwunden ist, bleibt er hinter dem Tresen stehen und spürt eine unerwartete Befriedigung. Etwas in ihm wächst schnell heran, eine Bereitschaft, eine neue Form des Entgegenkommens ... die Fähigkeit zu sein oder worum auch immer es sich handeln mag. Es ist ganz deutlich zu spüren, und es ist ein äußerst angenehmes Gefühl.
    Auf dem Friedhof hat sie kein Wort gesagt, denkt er.
    Ob Tomas wohl ...? Nein, das ist ausgeschlossen.
     
     
    Einmal damals im Frühling saßen sie auch in einem Restaurant, Marlene und er. Ein einziges Mal. Er war bis über beide Ohren verliebt, und trotzdem kamen sie nie weiter als genau bis hierher. Bis zu einem lächerlichen Restaurantbesuch zu zweit. Dann brachte er ihren Vater um.
    Und jetzt ist Tomas auch unter der Erde, das ist schon merkwürdig. Sie essen Pasta, und die Worte kommen nur zögerlich.
    »Ich glaube ... ich meine ... ich habe großes Vertrauen in dich, Leon.«
    Er macht sich nicht die Mühe, sie zu korrigieren.
    »Dreißig Jahre ... ich sollte wohl fragen, wie es dir geht?«
    »Gut. Ich kann nicht klagen.«
    Mehr sagt er nicht. Sie stellt ihr Glas ab, wischt sich die Lippen mit der Serviette ab und beginnt: »Es fällt mir schwer, darüber zu reden, das musst du verstehen, Leon. Die letzten Jahre waren ... nein ...«
    »War er krank?«
    »Krank? Nein, ganz und gar nicht ... das heißt, sein Körper war nicht krank. Aber seine Seele, Leon, seine Seele ...«
    »Maertens.«
    »Entschuldige, es fällt mir so schwer, mich daran zu gewöhnen. Ja, du weißt ja nichts von unserem Leben, und natürlich kann ich nichts von dir verlangen. Ich weiß nur, dass es Dinge gibt ... etwas Verborgenes. Es gibt etwas, das ich nicht verstehe, du musst entschuldigen, dass ich das einfach so geradeheraus sage.«
    »Woran ist er gestorben?«
    Sie antwortet nicht sofort. Betrachtet ihn zunächst eine Weile, scheint mit sich selbst zu Rate zu gehen. Er begegnet ihrem Blick und fühlt sich sonderbar ruhig.
    »Ich weiß es nicht«, sagt sie dann.
    »Du weißt es nicht?«, wiederholt Maertens. »Aber das musst du doch wissen.«
    »Nein, ich weiß es wirklich nicht. Der Arzt hat auf den Totenschein nur Herzstillstand als Folge verminderter Funktion mehrerer innerer Organe geschrieben, so hat er das ausgedrückt... aber das erklärt ja wohl kaum etwas.«
    »Hat er sich das Leben genommen?«
    »Nein. Zumindest nicht nach der gängigen Meinung. Aber am Abend, bevor er starb, hat er etwas gesagt, was vielleicht von Bedeutung ist ... Ich sterbe aus Scham , hat er gesagt.«
    »Scham?«
    »Ja, Scham. Und in der gleichen Nacht ist er gestorben.«
    »An einem Donnerstag?«
    »Ja, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag. Er hat dich noch kurz vorher angerufen, nicht wahr?«
    Maertens nickt. Plötzlich bemerkt er, wie sie zittert. Sieht auch, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen kann ... plötzlich weiß er nicht mehr, wie er sich verhalten soll. Was wird jetzt passieren?, fragt er sich. Alles sieht doch eigentlich so stabil aus. Glücklicherweise kommt der Kellner und räumt die Teller ab. Marlene schluckt ein paar Mal und beißt sich auf die Unterlippe.
    »Bitte, Leon, worum geht es eigentlich? Weißt du, worum es hier eigentlich geht?«
    Es fehlt nicht viel, und alles wäre aus ihm herausgebrochen.
     
     
    Etwas später, bei Kaffee und einer Zigarette, hat sie sich wieder unter Kontrolle.
    »Ich weiß, dass er versucht hat, dich in den letzten Monaten zu erreichen. Hat er etwas gesagt?«
    »Nein.«
    »Das habe ich mir fast gedacht. Er hat zum Schluss kaum noch gesprochen.«
    »Was hast du mit dem Testament gemeint?«
    Sie räuspert sich und richtet sich auf. »Tomas hat ein Testament hinterlassen, doch soweit ich den Anwalt verstanden habe, ist es im juristischen Sinne eigentlich kein richtiges Testament. Aber es drückt seinen letzten Willen aus, und es gibt nichts, was uns daran hindert, ihm zu folgen. Wenn du dich nicht sträubst natürlich?«
    »Warum sollte ich mich sträuben? Worum geht es denn?«
    Sie lehnt sich zurück und lächelt entschuldigend. »Es ist ganz einfach. Er möchte, dass du eine Woche in unserem Haus verbringst.«
    »In B-e?«
    »Ja. Wir wohnen dort seit einiger Zeit. Du sollst seine Bibliothek durchschauen. Alle Bücher, die du haben möchtest, kannst du behalten.«
    »Aha ... und warum?«
    »Sieh nicht so bestürzt drein. Es ist keine schlechte Sammlung, du wirst sicher eine Woche brauchen. Ich denke, es handelt sich um sechs- bis siebentausend

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