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Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
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Bände.«
    »Ich weiß nicht ...«
    »Da gibt es noch einiges andere, aber das wirst du sehen, wenn du kommst ... falls du kommst, meine ich. Ja, und es ist gedacht, dass ich auch die ganze Woche dort sein soll.«
    Maertens schluckt und schaut auf die Uhr. Von der Mittagspause sind noch fünf Minuten übrig. Wird erwartet, dass er sich hier und jetzt entscheidet? fragt er sich selbst. Er schaut sie an. Doch, ja, es scheint so.
    »Darf ich dich daran erinnern, dass ich es war, der deinen Vater ermordet hat?«
    Das Wort an sich ist so stark, dass sie tatsächlich einen Moment zu zögern scheint, bevor sie ihn überredet.
    »Ich bin diejenige, die möchte, dass du kommst, Leon. Wie ich gesagt habe, ist das Testament nicht bindend, ich könnte es einfach ignorieren. Aber ich möchte Klarheit. Und es gibt etwas, was ich nicht weiß. Wenn etwas ein Licht auf unser Leben werfen kann, auf das von Tomas und mir, dann möchte ich, dass es geschieht. Ich habe lange genug im Dunkeln herumgetappt. Kannst du das verstehen?«
    Er nickt. Gestattet sich ein nicht allzu verpflichtendes Lächeln. Aber weiter will er nicht gehen, zumindest jetzt noch nicht.
    »Ich weiß, dass du allein lebst, aber wenn du trotzdem eine Frau hast, so ist auch sie herzlich willkommen ... oder gibt es etwas anderes, was dich hindern könnte?«
    »Nein, nein ... nein, ich werde kommen, Marlene. Natürlich komme ich ... allein. Wann hast du dir gedacht?«
    Wieder huscht ein Hauch von Erleichterung über ihr Gesicht.
    »Wann du willst, Leon.«
    »Maertens.«
    »Maertens. Wann du willst.«
    »Ich kann es nächste Woche versuchen.«
    Sie holt tief Luft. »Danke, Maertens.«

12
     
    TAGEBUCH
     
     
 
    24. März
    Hatte sie wirklich schon früher so dünne Lippen? Ich kann mich nicht mehr erinnern. Ich meine, werden Lippen mit den Jahren dünner, oder ist das nur meine Erinnerung, die mich im Stich lässt?
    Natürlich ist es trivial, gerade jetzt über so etwas nachzudenken, aber nachdem es mir nun einmal in den Kopf gekommen ist, kann ich es ebenso gut auch zugeben. Ich fürchte, sonst werde ich die Frage für lange Zeit nicht mehr los. Das ist wahrscheinlich auch so ein Symptom, diese Lippenfrage, ich weiß nur nicht, wofür.
    Viel mehr kann ich momentan nicht sagen. Ich fühle mich sonderbar ruhig, obwohl mich widerstreitende Gefühle quälen sollten. Oder ist es so, dass ich das alles bereits überwunden habe? Ist es mir während all dieser Jahre, die vergangen sind – als ich sie vergraben und versiegelt hatte –, gelungen, sie los zu werden? Mit ihnen abzuschließen, so dass ich bereit bin, ihnen jetzt wieder in die Augen zu sehen?
    Wer weiß? Es ist ja das erste Mal, dass ich auf die Probe gestellt werde. Vielleicht ist es nur die Frage einer dünnen – und fürs Auge sichtbaren – Hülle, die jeden Moment zerreißen kann. Eine trügerische Stille. Das wird sich herausstellen.
    Ich werde also morgen fahren. Eine Woche bleiben, von Sonntag bis Sonntag. Sieben Tage mit Marlene in einem Haus am Meer, früher hätte ich meine Seele für so ein Angebot verkauft. Jetzt fahre ich fast ohne Erwartungen. Übrigens auch ohne Befürchtungen. Es sind wohl nicht nur die Lippen, die im Laufe der Jahre dünner werden, wie ich vermute.
     
 
    Aber auf eine Sache muss ich natürlich eine Antwort haben.
    Hat er jemals etwas erzählt?
    Es scheint nicht so. Nein, ich bin ziemlich überzeugt davon, dass er nie ein Wort gesagt hat. Vielleicht ist das gerade der Kern des Ganzen. Das Herz der Finsternis. Ich habe ja immer vorausgesetzt, dass Marlene unwissend ist, weiß nicht einmal, ob etwas anderes überhaupt denkbar wäre. Genau das war ja der Sinn des Ganzen. Wenn er auch nur eine Andeutung gemacht hätte, wäre mir das natürlich zu Ohren gekommen. Sie wusste ja offensichtlich, dass ich zu finden war.
    Ist das alles, was in dem Schweigen zu finden ist? Die alte Zeit, die die neue einholt? Die Mittel, die sich neben das Ziel stellen. Ich weiß es nicht. Wie sollte ich auch?
    Und wie soll ich jetzt fortfahren? Erfordert es die Lage, dass ich ihr tatsächlich alles erzähle? War es das, was er wollte? Hat sie nicht, trotz allem, ein gewisses Recht auf Klarheit?
    Ich weiß, dass ich mich selbst mit diesen falschen, rhetorischen Fragen hereinlegen will. Die Wirklichkeit ist nicht so, war nicht so, dass sie berechtigt wären, aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob das für mich weiterhin ein Hindernis darstellt ... ganz einfach. Ich könnte beispielsweise

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