Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Fliege Und Die Ewigkeit

Die Fliege Und Die Ewigkeit

Titel: Die Fliege Und Die Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hakan Nesser
Vom Netzwerk:
empfindlich auf Berührung, nicht mehr und nicht weniger.
    Bevor ich ins Bett gehe, stelle ich fest, dass nur noch drei Tage übrig sind. Ob ich am Samstag oder am Sonntag abreisen werde, das kann ich noch nicht sagen. Das wird sich zeigen, wenn es soweit ist.
    Ich spüre eine gewisse Unruhe. Marlene war äußerst angespannt, als wir uns Gute Nacht sagten. Es fällt mir schwer zu entscheiden, welche Verantwortung ich wirklich in dieser Sache trage. Wahrscheinlich kann ich auch das erst beurteilen, wenn es so weit ist. Ich habe das Gefühl, dass ich alles vor mir herschiebe, aber wenigstens empfinde ich nicht mehr diesen Ekel, über den ich vor ein paar Tagen geschrieben habe.
    Ich stelle fest, dass es schon nach zwölf ist, aber als ich das Licht lösche, ist es immer noch fast hell im Raum. Der Mond hängt dort draußen über dem Wasser, groß und bleich. Ich bleibe sitzen und betrachte ihn eine Weile.
    Ein Mann, der am Meer sitzt und den Mond anstarrt! Es ist wohl das Beste, wenn ich mich ins Bett lege und fest die Augen schließe. Wie sehr wünsche ich mir doch, neben eine Frau kriechen zu dürfen, die ich mein ganzes Leben lang gekannt habe.
     

22
     
    D ie Augen des Professors wandern über die Gruppe.
    Er kann es problemlos sehen. Er hat es in all diesen Jahren sehen können und wird es sich ins Gedächtnis rufen können, solange er lebt. Da sitzen sie, die Viertsemester, ein wenig geduckt, ein wenig erwartungsvoll, und sein Blick streicht über sie ... hin und her.
    Zwölf Stück sind es. Wie die Apostel. Das ist kein schlechtes Zeichen.
    Der Kamin in der Ecke unter Sokrates donnert, er kann es in seiner Erinnerung deutlich hören. Die Kältewelle, die über Neujahr hereinbrach, hält weiterhin an. Rinz muss hier gewesen sein und am Morgen Feuer gemacht haben. Die Eisblumen am Fenster schmelzen, und die Temperatur um den Tisch herum lässt nichts zu wünschen übrig. Absolut nichts. Mit der Atmosphäre ist es etwas anderes ... anscheinend ist sie genau so, wie der Professor sie haben will. Gespannt wie eine Geigensaite.
    Endlich ergreift er das Wort. Er fängt langsam an, aus der Liste vorzulesen, die er in der Hand hält. Wenn der Betreffende mit Ja antwortet, macht er eine kurze Pause, betrachtet den Kandidaten ein paar Sekunden lang und schreibt dann schnell einen Kommentar neben seinen Namen. Leon spürt, dass er unter den Achseln schwitzt. Was schreibt er da? Warum nimmt er sich so viel Zeit?
    Niemand weiß es, und der Kamin donnert.
     
     
    »Arnold Huygens?«
    »Ja.«
    »Leon Delmas?«
    »Ja.«
    Seine Augen sind wie zwei Koksstücke, die aus dem Feuer geharkt und in ganz tiefen Schnee geschleppt wurden, hat mal jemand gesagt. Das ist kein schlechtes Bild. Tief in dieser Dunkelheit kann Leon die Glut erahnen, die immer noch brennt und die sich jetzt direkt an ihn richtet. Er beißt die Zähne zusammen. Der Professor schreibt. Dann ist es vorbei.
    »Jan Proszek?«
    »Ja.«
    »Tomas Borgmann?«
    »Ja.«
    Eine Extrasekunde, eine einzige. Nur ein Hauch mehr an Glut, und die Geigensaite, die noch einen Wirbel weiter gespannt wird. Bis zum Zerreißen. Dann kommt es.
    »Wir und die Fliegen?«
    »Ja.«
     
     
    In der Fünf-Minuten-Pause steht man draußen im Schnee, von einem Bein aufs andere trampelnd, und raucht. Filipopov, der Nietzscheaner, saugt zufrieden an seiner Tonpfeife und kommentiert:
    »Euch ist doch sicher auch der Ton aufgefallen?«
    Werner und Anderson, die Schildknappen, schauen auf und warten auf die Fortsetzung. Leon schaut sich nach Tomas um. Er kann ihn nirgends entdecken, offensichtlich ist er drinnen geblieben.
    »Der Ton in Hocksteins kleinem Zusatz! ›Wir und die Fliegen?‹ – eine außerordentlich ausgewogene Replik! Ich habe schon geglaubt, Borgmann würde die Fassung verlieren, aber er hat es geschafft. Bewundernswert! ›Wir und die Fliegen? – Ja.‹ Keiner von beiden ist nur einen Millimeter weit gewichen. Ich glaube, wir können uns auf ein interessantes Frühlingssemester freuen, meine Herren!«
    Lübbisch kommt die Treppe heruntergehinkt. »Erste Runde im Schwergewichtskampf!«, keucht er asthmatisch in die kalte Luft. »Habt ihr’s gehört?«
    Proszek schnaubt. »Boxen? Du hast die Seele eines Bauern, Lübbisch, du kannst es nicht verleugnen. Hier war ... hier war zweifellos die Rede von einem klassischen Vorpostengefecht. Attacke und Parade, und nichts sonst! Oder etwa nicht? Übrigens, wo ist er eigentlich, der Borgmann? Delmas, wo hast du ihn gelassen?«
    Leon

Weitere Kostenlose Bücher