Die Flirtfalle
Was ist, wenn er mich als Nächstes auffordern würde, das originelle Kleid ebenfalls auf dem Rücksitz abzulegen? Ich war noch nicht bereit für diesen Schritt. Zudem kannte ich Mark eigentlich nicht. Gut möglich, dass der Mann ein Psychopath oder ein gesuchter Vergewaltiger war. Lisa, Anna und Leo würden morgen eine Vermisstenanzeige aufgeben und bei der Polizei aussagen müssen, wann und wo sie mich zuletzt gesehen hätten.
Ich wollte nach Hause.
„Mark, es geht mir nicht gut. Fahren Sie mich bitte nach Hause“, sagte ich mit erstickter Stimme. Mark funkelte mich schweigend an. Draußen war es stockdunkel. Es gab keinen Mit- oder Gegenverkehr, keine Straßenlichter. Mein Herz begann zu rasen. Zum ersten Mal im Leben hatte ich Todesangst.
Lieber Gott, bitte mach, dass er mich am Leben lässt. Ich bin noch nicht bereit, von dieser Welt zu gehen. Ich liebe mein Kind und ich verspreche dir, ich werde mich mit Mutti versöhnen und mir eine Arbeit suchen. Wenn es sein muss, werde ich Zeitungen austragen oder Fenster putzen gehen, oder sonst irgendetwas, ganz egal, ob ich dadurch einen krummen Buckel bekomme. Amen.
„Fahren Sie mich bitte nach Hause!“, sagte ich diesmal lauter, schnallte mich ab und lehnte mich so an die Autotür, als hätte ich vor, jeden Augenblick aus dem fahrenden Auto in den Tod zu springen.
„Melanie, bleiben Sie bitte ganz ruhig! Sie müssen mir schon ihren Wohnort, die Straße und die Hausnummer verraten.“
Ich nannte ihm meine Adresse, atmete tief ein und aus und redete mir wieder das mit der himmlischen Ruhe ein.
„Sie denken hoffentlich nicht, dass ich ein gesuchter Krimineller bin“, sagte Mark nach einer Weile, womit er wieder die Ängste in mir hochsteigen ließ. Der Wald blieb hinter uns. Autos und Motorräder mit laut aufgedrehten Musikanlagen kamen uns entgegen. Es war Freitagabend und die jungen Leute, die das Heiraten und das Kinderkriegen noch nicht hinter sich hatten, fuhren in die Diskos.
Ich schielte verlegen zu Mark herüber. Der Mann hielt mich jetzt endgültig für verrückt, aber was soll’s. Es wäre ohnehin nicht gut gegangen. Möge Lisa glücklich mit ihm werden!
Wir bogen in meine Straße ein.
„Da wären wir!“, sagte er, schaltete den Motor ab und sah mich neugierig an. „Ist alles in Ordnung?“
„Habe ich Ihnen nicht oft genug bewiesen, dass mit mir nicht alles in Ordnung ist? Erst die Nummer mit der Zigarette, dann mein Auftritt heute Abend und eben gerade habe ich mich wie eine Irre aufgeführt.“
Er lachte.
„Na ja, ich konnte Ihre Angst gut nachvollziehen, schließlich kennen wir uns kaum.“ Mark sah mich erwartungsvoll an. In seinen Augen glaubte ich die Hoffnung abzulesen, den Abend in meiner Wohnung fortzusetzen.
„Danke fürs nach Hause fahren. Es war eine Schnapsidee von mir, auf diese Party zu gehen. Sie haben mir das Leben gerettet.“
„ Melanie, ich mag Sie wirklich sehr“, sagte Mark. Ich blickte verlegen weg. Unter normalen Umständen hätte ich mich natürlich anders verhalten, doch die Umstände waren alles andere als normal. Mein Gott, was tue ich eigentlich? Ich war schon mit einem Fuß aus dem Auto, als er nach meiner Hand griff, mich langsam zu sich zog und küsste. Ich leistete keinen Widerstand, obgleich mir einfiel, dass die Rentnerin von Gegenüber mit Sicherheit am Fenster stand und uns beobachtete.
„Wann sehen wir uns wieder?“, fragte er.
„Ich weiß es nicht.“
„Werden Sie mich anrufen?“
„Ich weiß es noch nicht.“
„Und wenn ich Sie darum bitte?“
„Einundvierzig zwanzig dreiundfünfzig. Rufen Sie mich doch an“, sagte ich, da mir die unzähligen erfolglosen Versuche, Mark anzurufen, einfielen.
Die Rentnerin von gegenüber mit dem antiken Namen Jakobine begrüßte mich einsilbig und machte sich daran, mit einem Tuch über ihre Klingel zu wischen, um mir unmissverständlich den wahren Grund für ihr spätes Erscheinen im Treppenhaus zu zeigen. Endlich wieder zu Hause! Ich schlüpfte aus dem Kostüm, danach ließ ich Wasser in die Badewanne laufen und schaute nach, ob es Anrufe gab. Vier waren es:
„ … voller Sorge um dich nicht wäre! Sein Name ist Klitzke. Herr Doktor der Psychologie Klaus-Jürgen Klitzke. Ich habe mit ihm ein langes Telefonat geführt und muss sagen, er ist ein sehr netter Mensch. Melanie, bitte melde dich bei mir, damit wir diese andere Sache auch noch besprechen können.“
Mensch, Mutti. Ich brauche doch keine Psychotherapeuten, um mein Leben wieder
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