Die Flirtfalle
ich da anhatte: Ein Trachtenkostüm. Der Schnitt, der mit Lochstickerei verzierte Stoff, die Länge (vier Zentimeter unterm Knie), die kleine rote Schürze vorne - alles so, wie es sich für ein Kleid gehörte, das im 17. Jahrhundert von der bäuerlichen Landbevölkerung getragen wurde. Im Vergleich dazu erschien mir das Hochzeitskleid meiner Urgroßmutter wie ein moderner Designerfummel. Ich redete mir ein, dass eine hübsche Halskette die Volkstracht etwas erträglicher erscheinen lassen würde und probierte alles, was ich an Schmuck besaß, aus. Nein, nein. Halsketten machten die Sache nur noch schlimmer. Das Einzige, was ich mir als passend vorstellen konnte, war ein Halsband, an dem getrocknete Paprikaschoten, Vogelfedern und Kräutergras hingen. Leider besaß ich so etwas nicht. Wenigstens saßen die BH-Einlagen gut, wodurch mein Busen überdurchschnittlich voll aussah.
„Mama, du?!“ Justin schaute mich so an, dass ich die Frage, ob ich denn krank sei, von seinen Augen ablesen konnte.
„Mama geht heute Abend auf eine Party und hat sich deshalb ein hübsches Kleid angezogen. Nun zeig mir, dass du deine Schuhe ganz allein zubinden kannst. Wir müssen gleich los.“
Ich holt e meinen Popelinemantel und zog ihn über, um das Kleid zu verdecken.
„Komm, ich mach das schon“, sagte ich und band Justin die Schnürsenkel zu. Ich hätte schwören können, dass ich dabei meinen Ex schimpfen hörte, ich würde wieder einmal pädagogisch falsch handeln und es wäre dringend an der Zeit, mich für einen Erziehungskurs für überforderte Mütter anzumelden.
Im Auto war ich so aufgeregt wie eine Sechzehnjährige auf dem Weg zu ihrem ersten Rendezvous mit dem Schulsprecher.
„Und denk daran, du wirst all das tun müssen, was Tante Marta und Tante Gina von dir verlangen“, gab ich Justin eine letzte Anweisung, nachdem ich den Motor auf Lisas Hof abgestellt hatte.
Die Partystimmung war nicht zu überhören. Lisa, Anna und Leo saßen auf der Terrasse und lachten.
„ Melanie! Wir dachten schon, du hättest kalte Füße bekommen!“, rief Lisa mir zu. Ich sah sie erstaunt an. Ihr Kleid stand ihr wirklich gut. Auch Anna sah in ihrem Kleid fantastisch aus.
„ Melanie, lass mich dich ansehen!“ Leo nahm mir den Popelinemantel ab, als hätte ich ohnehin vor, ihn auszuziehen.
„Klasse! Mädels, ihr seid alle umwerfend!“
Erst jetzt fiel mir Leos unkonventionelle Bekleidung auf. Er steckte in einer dunkelgrünen Pluderhose und einem roten Seidenhemd mit dazu passender Lederweste.
Ich brachte Justin ins Haus. Im Flur spielten Karin und Franka ‚Krankenhaus’. Sie freuten sich riesig auf Justin und fragten ihn gleich, ob er denn nicht Lust hätte, einen Onkel Doktor zu spielen, der einem kranken Kind das Herz herausoperieren muss. Justin nickte begeistert, die Mädchen steckten ihm eine Barbie in die Hand und mein Sohn machte sich eifrig daran, die Puppe auseinander zu nehmen. Ich trug Justins Tasche nach oben. Das Zimmer war klein aber fein. Es hatte ein schönes Kinderbett, eine Menge Kuscheltiere und Flohmarktkram. Es war nicht die erste Nacht, die Justin ohne mich verbringen musste, aber die erste in Lisas Haus. Mein Gewissen meldete sich wieder und meinte, eine vorbildliche Mutter würde ihr Kind niemals auf einem Bauernhof aussetzen, um auf eine Party zu gehen. Am Liebsten hätte ich jetzt Justin in meine Arme genommen, ihn geküsst und um Vergebung gebeten, aber als ich die Kinder so harmonisch miteinander spielen sah, wagte ich es nicht, den Bereich ihres Fantasiekrankenhauses zu betreten.
„ Melanie, Kindchen, alle warten schon auf dich! Nun geht schon, amüsiert euch gut und macht euch um die Kinder keine Sorgen“, sagte Marta. Ich umarmte sie so, wie ich meine eigene Großmutter umarmt hätte, wenn sie noch am Leben wäre.
„Ich bin mir noch nie im Leben so komisch wie jetzt vorgekommen“, sagte ich, während ich in Leos Sportwagen stieg und über meine rote Schürze stolperte, die an der Autotür hängen geblieben war.
„ Also, ich finde die Kleider voll lustig“, sagte Lisa, während sie sich zu mir nach hinten drängte. „Mensch, Melanie, wie siehst du denn aus! Konntest du dir nicht wenigstens die Haare kämmen?“
Ich ließ diese Bemerkung kommentarlos stehen. Nachdem Mark durch den Flirttest gefallen war, hatte ich das Gefühl, dass Lisa ständig versuchte, mich für das Machoverhalten ihres Freundes zu bestrafen.
„Mädels, ich hoffe ihr habt alle ein wenig vorgeschlafen. Die
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