Die Flirtfalle
schwieg beleidigt. Ich überlegte, ob ich jetzt noch eins draufsetzen und sie anlügen sollte, dass ich neulich meinen ersten One-Night-Stand gehabt hätte. Doch mir fiel ein, dass ich mich mit Mutti wieder vertragen wollte und beschloss, mich wie eine geistig reife Frau zu verhalten, und sagte deshalb nichts mehr.
„ Melanie, das Essen muss aus dem Backofen, also bis dann mal wieder“, sagte sie und legte auf. Himmel! Heute heiratet doch kein Mensch mehr und mit sechsundfünfzig schon gar nicht. Wenn, dann lässt man sich scheiden. Ein Albtraum flimmerte plötzlich vor meinen Augen: Mutti stand im weißen, bodenlangen Hochzeitskleid vor dem Altar, Justin hielt den kilometerlangen Schleier in seinen Händchen, während ich als Brautjungfer im peinlichen rosa Kleid steckte und verlegen zu Boden sah. Ich hätte niemals gedacht, dass Liebe auch reifere Menschen blind macht. Viktors Bierbauch, seine große Nase, die hässliche Warze unter dem Auge, seine Halbglatze. Wie verliebt muss eine Frau denn sein, um all das zu übersehen? Andererseits. Wenn Mutti und Viktor heiraten, dann hätte ich wieder einen liebevollen Vater, mit dem ich angeben könnte.
Das Telefon klingelte.
„Ja, Mum?“
Nichts. Ich hörte nur jemanden atmen.
„Hallo? Wer ist da?“
E s wurde aufgelegt. Kurz darauf klingelte das Telefon wieder.
„ Melanie Klein“, sagte ich matt.
„Hallo Melanie. Hier ist Mark.“
Mark ! An den hatte ich seit fast einer Stunde nicht mehr gedacht.
„ Mark! Welch eine Überraschung!“
„Ich wollte mich einfach so bei Ihnen melden“, sagte er und schwieg. Ich suchte verzweifelt nach einer passenden Antwort, aber es fiel mir nichts Gescheites ein, also sch wieg ich ebenfalls.
„ Melanie, sind Sie noch dran?“
„Ja, natürlich. Ich bin noch dran. Heute ist das Wetter wirklich schön, finden Sie nicht auch“, sagte ich und dachte, dass ich besser hätte weiterschweigen sollen.
„In der Tat! Es ist genau das richtige Wetter für einen langen Waldspaziergang. Hätten Sie denn nicht Lust auf einen langen Waldspaziergang mit mir?“
Obwohl ich Spaziergänge außerhalb von Einkaufsstraßen sehr ungern und meistens nur Justin zuliebe unternahm, fand ich Marks Vorschlag einfach klasse. Mit Mark an meiner Seite wäre ich sogar bereit, tagelang durch die Sahara zu wandern.
„Ich bin eine leidenschaftliche Spaziergängerin!“ , sagte ich.
„Na dann! Wie wäre es mit heute Nachmittag um vier? Soll ich Sie abholen?“
„Halb fünf wäre mir lieber“, sagte ich, da mir einfiel, dass ich mit dem Nachbar verabredet war.
„Ich werde unten an der Straße auf Sie warten.“
„Prima! Ich freue mich drauf!“
„Ich freue mich auch.“
„Tja, dann, bis dann!“
„Ja, bis dann, dann!“
Eine Stunde später, gerade als ich mit der Meditationsübung ‚Atme tief ein und fühle, wie du eins mit der Erde wirst’ fertig war, hörte ich Justins Stimme. Mein kleiner Spatz sang sich vor Freude das Schildkrötenlied aus der Kehle. Das ganze Treppenhaus dröhnte. Ich öffnete die Tür, noch bevor Lisa klingeln konnte. Justin lief in meine Arme. Er war frisch gebadet und gekämmt und duftete nach Babyshampoo. Ich konnte nicht aufhören das Kind zu küssen.
„ Melanie, du bist Anna und mir wirklich nicht böse?“, fragte Lisa besorgt.
„ Ach was!“
„Dann los, zieh dir etwas Vernünftiges an, wir fahren in die Stadt zum Freimarkt, Anna, Karin und Franka warten unten im Auto, na mach schon!“, sagte Lisa, ohne zwischendurch Luft zu holen. Die Aktion passte mir nun gar nicht. Ich erklärte Lisa, dass ich einige Bewerbungen unten am PC des Nachbarn zu schreiben gedenke, danach hätte ich vor, Justin zu Mutti zu bringen, damit ich in der Zeit meine Wohnung ordentlich sauber mache mit Fenster putzen und allem.
„Weißt du was? Ich nehme Justin zum Freimarkt mit, deine Mutter kann warten“, sagte Lisa. Eine ausgezeichnete Idee, schließlich wollte ich nicht wirklich Justin bei Mutti abliefern, was ich aber angesichts meiner Verabredung mit Mark hätte machen müssen. Wenig später stand ich am Straßenrand und winkte Justin zu, bis Lisas Wagen aus meinem Blickwinkel verschwunden war. Die Tatsache, dass sich meine beste Freundin um mein Kind kümmerte, damit ich mich ungestört mit ihrem Freund treffen konnte und die daraus resultierende Erkenntnis, dass ich eine hinterhältige, falsche Freundin war, bereitete mir Kopfschmerzen. Ich hatte schon den Hörer in der Hand, mit der festen Absicht, Mark
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