Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
ihm verstellte.
Nach einem halben Tag erkannte Dietmar, dass Violetta ihre Stimmungen schneller wechselte als Omi ihre Perücken. Mal war die Gattin sanft wie ein Lamm, dann verwandelte sie sich in einen brüllenden Löwen. Sie vergriff sich oft im Tonfall.
„Die Grünlichs sind das spiegelbildliche Pendant zu den Knopinskis“, meinte Marisabel Prinz nüchtern, als sie den anderen Gästen von dem neuen Ehepaar erzählte: „Als der Kranke einzog, hat er mich im Flur begrüßt. Daraufhin hagelte es sofort Vorwürfe von seiner eifersüchtigen Gattin.“
An ihrem ersten Tag in Haus Holle war Violetta für fünf Minuten ins Esszimmer gekommen. Es war offensichtlich gewesen, dass ihr Besuch nur einen einzigen Grund hatte: Sie wollte die anderen Gäste mustern, und ihre Abneigung ausdrücken. Nicht einmal der Psychologe durfte sich dem neuen Gast nähern – angeblich auf Golos Wunsch. Violetta Grünlich schirmte ihren Mann nach einem Plan ab, den keiner der Pfleger und Gäste nachvollziehen konnte. Sie verließ das Haus um drei Uhr nachts, und kam erst gegen 15 Uhr zurück. Dieser Rhythmus hatte sich längst auf den Kranken übertragen. Er schlief den ganzen Vormittag und ließ sich nur vom dünnen Dietmar waschen. Trotzdem machte ihm seine Frau Vorwürfe, sobald sie eintraf. Golo bekam seinen Erholungsschlaf erst, wenn sie spätnachts wieder gegangen war.
„Wenn das so weiter geht“, sagte Dr. Albers kopfschüttelnd, „sprechen wir ein Hausverbot aus. Ich werde mir die Gattin selbst vorknöpfen.“
Am selben Abend war es so weit.
Minnie hörte, dass in Zimmer 8 geflucht wurde. Gerade hatte Dr. Albers den Raum verlassen. Offensichtlich ließ er Violetta Grünlich in entsetzlicher Laune zurück.
„Was hast Du diesem Psychologen vorgelogen?“, herrschte sie ihren Mann an und schlug auf die Kante des Nachttisches. „Dass ich Dich nicht gut genug pflege? Er hat mir mit einem Hausverbot gedroht!“
„Ich habe kein Wort gesagt“, erklang eine dünne Stimme. „Kannst Du mir bitte mal den Orangensaft rüberreichen?“
„Lüge!“, rief Violetta. „Du hast den Psycho-Doc nur vorgeschoben, damit Du den anderen Frauen im Haus schöne Augen machen kannst, was? Die rothaarige Hundetante gefällt Dir, oder?“ Violettas Stimme durchschnitt die Luft. Minnie hörte einen Schlag, auf den ein leises Wimmern folgte.
„Kein bisschen“, stöhnte der Kranke. „Ich kenne die rothaarige Dame doch gar nicht.“
„Wieso sagt mir der Psychologe dann, dass Du viel schlafen musst? Was machst Du denn, wenn ich das Haus verlasse? Treibst Du Dich auf der Straße herum?“
„Ach, Violetta“, antwortete Golo. „Als ob ich dazu die Kraft hätte.“
Doch die Gattin wurde höhnisch. „Wie oft habe ich Dich schon dabei ertappt, dass Du unser Haus verlassen hast, wenn Du geglaubt hast, dass ich schlafe“, sagte sie beißend. „Als ob das hier anders wäre!“
„Müssen wir das wieder aufwärmen? Ich habe Dir tausendmal gesagt, dass es in meinem Leben keine andere Frau gibt. Bitte geh zu einem Psychologen, wenn Du Dinge siehst, die nicht real sind. Ich bin nie – wie Du es nennst – auf die Straße gegangen.“
Violetta schnappte sich das Handy des Kranken. „Mal sehen, wen Du alles angerufen hast, während ich weg war… Dann kennen wir ja bald die Wahrheit.“
Eine unheimliche Stille setzte ein.
Obwohl Violetta keinen Beweis für Golos Untreue zu finden schien, haderte sie weiter mit dem Kranken.
„Hast Du die aktuelle Anrufliste gelöscht?“, fragte sie und warf das Handy gegen die Wand. Minnie hörte, dass es zersplitterte. „Oder hast Du die paar Schritte bis zu den Sex-Shops noch gehen können?“
Müde schloss ihr Mann die Augen.
Die Gattin ließ nicht locker.
„Ich rede mit Dir“, herrschte sie den Kranken an. „Mach gefälligst Deine Augen auf, wenn ich mit Dir spreche!“
Die Diskussion ging endlos weiter. Golo Grünlich litt unter Schmerzen, doch Violetta ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. „Lügen! Du simulierst, um Dich vor einer Aussprache zu drücken. Aber nicht mit mir!“
Minnie bemitleidete den Kranken zutiefst. Sie hörte, wie der Kranke um Morphium flehte.
Endlich schien er es zu bekommen.
Nun kehrte Ruhe ein, und Violetta schluchzte.
„Wie soll ich bloß ohne Dich klarkommen?“, fragte sie weinend. „Du bist das Wichtigste in meinem Leben. Und Du warst immer der Beste!“
„Ich liebe Dich auch“, sagte Golo. „Du bist ebenfalls die Beste.“
„Danke, mein Schatz“,
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