Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
dagegen spricht!“
„Das muss Dr. Coppelius entscheiden. Er ist bereits auf dem Weg zu Ihnen. Dr. Albers wird auch gleich hier sein. Dass Sie noch mal aufwachen… Was für ein schönes Geschenk. Auch Frau Prinz wird sich sehr freuen.“
„Es gibt sie also noch? Das freut mich zu hören. Ich dachte, sie sei bereit zum Sterben…“
„Das ist sie auch, seit mehreren Tagen. Das Bett verlässt sie längst nicht mehr. Aber Sie wissen es ja selbst. In Haus Holle lässt sich nichts planen. Möchten Sie auch die Bischöfin empfangen? Sie kommt um elf Uhr!“
Minnie schaute verdutzt drein. „Die Bischöfin? Sie kommt uns besuchen?“
„Ganz Recht“, erklärte der Pflegehelfer. „Wie jedes Jahr zum Weihnachtsfest. Dann machen alle ein großes Gedöns. Sie wird auch eine Rede halten – später, unten, im Grünen Saal.“
„Dann ist es mir recht“, antwortete Minnie. „Doch sagen Sie mir… wie geht es den anderen?“
„Frau Schiffer ist vor drei Tagen gestorben“, erklärte Bruno unverhohlen. „Sie ist ganz friedlich eingeschlafen. Bella sah bis zuletzt so schön aus wie zu ihren Lebzeiten. Die Gute hätte nie gedacht, dass sie ihre Prognose um Wochen überlebt. Ich war gestern bei ihrer Beisetzung. Bella liegt jetzt auf dem Urnenfriedhof. Auch Jesse hat es allein geschafft – ganz ohne Spritze von Jeremy. Als er merkte, dass es soweit war, ließ er sich in den Grünen Saal bringen, und sein Bett in die Mitte stellen. Wir haben ihn alle umringt, als er starb. Er sah aus wie ein Engel. Das können Sie mir wirklich glauben.“
„Und Sonja Merkel?“
„Geht’s prächtig. Gerade habe ich eine Zigarette mit ihr geraucht. Mutter Merkel und sie werden ebenfalls Weihnachten mit uns feiern. Falls Sie runterkommen dürfen, werden Sie die beiden unterm Tannenbaum treffen. Sonja lacht sich seit Tagen scheckig über die Witze von Adolf und Rudi. Die alten Jungs erheitern sie mit skurrilen Anekdoten über seltsame Todesfälle, die sie in irgendeiner Fernsehserie gesehen haben. Dr. Albers ist gar nicht amused . Aber unserer Sonja gefällt es – und das ist das Wichtigste.“
„Ich habe auch ein Anliegen, Bruno“, sagte Minnie eindringlich. „Ich möchte mit Mike sprechen. Rufen Sie ihn bitte an?“
Der Pflegehelfer meinte, dass das nicht nötig sein würde. „Ihr junger Freund wird heute eh kommen, gemeinsam mit seiner Mutter. Bei der Beerdigung seines Vaters ist allerhand Geld gespendet worden. Statt Kränzen hat sich die Familie Spenden für Haus Holle erbeten. Sie wissen ja, dass wir darauf angewiesen sind. Ein Hospizplatz kostet derzeit etwa 225 Euro am Tag. Das zu finanzieren ist neben dem Anteil, den die Krankenkassen übernehmen, nur durch ständige Spenden möglich.“
Er reichte Minnie eine mit Wasser gefüllte Schnabeltasse. „Wirklich schön, Sie wieder zu sehen“, sagte er schelmisch und grinste. Dann griff Bruno in seine Tasche. „Hier habe ich noch etwas für Sie – eine Karte vom Weihnachtsmann.“
Erstaunt blickte Minnie auf. „Es weiß doch niemand, dass ich hier bin! Wer schreibt mir eine Weihnachtskarte?“
Sie musterte den Poststempel.
Salzburg.
Minnie drückte die Karte an ihren Busen.
„Post von Ursula Demarmels!“ Die alte Dame las Zeile für Zeile:
Liebe Minnie!
Es war mir, Gerhard und Lilith eine große Freude, Sie kennengelernt zu haben.
Wir wünschen Ihnen Frohe Weihnachten.
Leben Sie wohl.
Ihre Ursula Demarmels.
„Wie schön, dass sie an mich gedacht hat!“, sagte Minnie. „Dass ich das noch erleben darf.“
Bruno wandte sich zum Gehen. Als er die Klinke in der Hand hielt, rief ihn Minnie noch einmal zurück.
„Sagen Sie, wo ist denn mein Schmuck?“
„Er muss doch irgendwo sein, Mama!“ Clara und Ute suchten seit Minuten nach den verschwundenen Perlen. Auch Ruth konnte sich keinen Reim auf das Verschwinden von Minnies Schmuck machen.
„Ich saß doch immer an Ihrem Bett… Mir ist gar nicht aufgefallen, dass die Kette plötzlich fehlte . Vielleicht hat sie ein Arzt genommen, um sie in einen Safe zu legen? Es wird eine einfache Erklärung geben.“
Bruno beschloss die Ärzte zu fragen. „Manchmal bittet uns ein Gast darum, allen Schmuck ablegen zu können. In der letzten Lebensphase ist er für viele nur noch ein unnötiger Ballast. Keine Sorge! Hier ist noch nichts weggekommen!“
„Da hörst Du es Mama“, sagte Clara fröhlich. „Deine Kette findet sich wieder. Bestimmt liegt sie in einem Schrank. Mach Dir bitte keine
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