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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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Sorgen.“
    „Das tue ich ohnehin nicht“, meinte die alte Dame gelassen.
    Minnie betrachtete das Verschwinden ihrer Perlenkette rational. Sie wusste eh, wer sie genommen hatte. Doch das würde sie nur Mike erzählen – später, unter der Treppe.
    Ruth Bröckel erhob sich. „Ich werde mich jetzt renovieren für das Weihnachtsfest“, sagte die hässliche Dame. „Sonst kann ich später nicht mithalten, wenn unsere schöne Latina die Männer becirct. Sie hat bereits alle Herzen gebrochen. Jeder Pfleger, der nicht schwul ist, ist ihr verfallen. Ein Jammer, dass sie so jung ist und trotzdem schon todkrank. Sie sieht aus wie das blühende Leben.“
    Die treue Dame mit dem flaumigen Bart entschwand durch die Tür. Zeitgleich trat Dr. Albers ein. Er nahm Minnies Gesicht in die Hände. „Es ist so schön, dass es Dir gut geht. Aber Du solltest unbedingt im Bett bleiben. Wir haben Dich gründlich untersucht. Schmerzt irgendetwas?“
    Minnie verneinte, und hob ihren Kopf trotzig an. „Zur Weihnachtsfeier werde ich gehen. Schließlich wird es mein letztes Fest sein. Ich hoffe, es spricht nichts dagegen. Erinnerst Du Dich daran, dass wir vor ein paar Wochen darüber gesprochen haben, ob ich Weihnachten noch erlebe? Damals bin ich intuitiv davon ausgegangen. Jetzt habe ich es geschafft. Das lasse ich mir von niemandem nehmen. Von niemandem!“
    Zweifelnd sah sie der Psychologe an. „Ich weiß nicht, was passiert, wenn Du aufstehst. Du könntest einen Blutsturz erleiden. Das Risiko ist sogar sehr hoch. Aus ärztlicher Sicht rate ich Dir unbedingt davon ab, in den Grünen Saal zu gehen. Schließlich kannst Du auch im Bett feiern. Später leisten wir Dir dann alle Gesellschaft.“
    „Vielleicht gibt es kein später mehr“, widersprach Minnie. „Ich möchte Lieder hören und singen, ich möchte die Gans riechen und ja, ich möchte Rotwein trinken.“
    Sie nickte in Richtung Kleiderschrank. „Bitte helft mir zuerst beim Waschen. Anschließend werde ich mich ankleiden. Heute ist der perfekte Tag für mein schönstes Kostüm. Ich habe mich für Rosa entschieden. Wie schauen meine Haare aus?“
    Eilig reichten ihr die Töchter einen Spiegel.
    Minnie war entsetzt. „Das sieht ja aus, als sei ich haarlos! Alles ist so platt gelegen. Ich habe keine einzige Locke. So kann ich Weihnachten nicht feiern. Heute muss ich wirklich schön sein. Kann mir irgendjemand helfen?“
    In diesem Moment klopfte es an die Tür. Als sei sie von höheren Mächten geschickt worden, stand plötzlich die nette Friseurin aus dem Salon an der nächsten Straßenecke in ihrem Zimmer. Minnie war überwältigt. Erfreut rief sie „Monika!“
    „Hallo!“ Als die junge Frau Minnie wieder erkannte, riss sie ihre Augen entsetzt auf. Fast schien es, als wolle sie Ach sagen, doch sie schloss den Mund rechtzeitig wieder. Ihr Blick jedoch verriet Minnie alles. „Habe ich mich etwa in der kurzen Zeit, in der wir uns nicht gesehen haben, so sehr verändert?“, fragte Minnie.
    „Nein“, log Monika, und schüttelte sich im gleichen Moment. „Entschuldigung – ich will nicht flunkern. Aber wenn Sie wirklich Minnie sind, dann haben Sie sich total verändert. Sie sehen sooo krank aus! Fast hätte ich Sie nicht wieder erkannt. Sie brauchen dringend eine neue Frisur!“
    Mit raschen Schritten trat sie ins Zimmer. „Was für ein Zufall, dass ich heute da bin, um einige Gäste schön zu machen. Und wie toll, dass ich Sie noch mal wiedersehe. Oh! Verzeihen Sie mir das noch … Ich dachte bloß…“ Die Friseurin verstummte.
    Dr. Albers brach das Schweigen: „Sobald sich Dr. Coppelius Deine Wunde angesehen hat, probieren wir, ob und wie wir Dich aus dem Bett bekommen. Außerdem müssen wir Dich waschen. Sofern das alles gelingt, können die Locken eingedreht werden. Hoffen wir das Beste!“
     
    Das Beste gelang.
    Um 10.30 Uhr hatte sich Minnie komplett verwandelt. Plötzlich saß eine Dame in Zimmer 6, deren weiße Locken nicht nur frisch aufgedreht waren, sondern obendrein nach einer wohlriechenden Pflegespülung dufteten. Monika hatte sich als Magierin erwiesen.  Selbst Minnies Gelbstich war verschwunden. Ein dezent aufgetragenes Make-up verlieh den Wangen der alten Dame ein fast gesundes Aussehen, und sie ertrug Nr. 5 von Chanel , ohne sich ein einziges Mal zu übergeben. Monikas Zauberhände hatten Minnies Fingernägel poliert, geschliffen und geschärft. Nur Lack mochte die alte Dame nicht auftragen. Sie trug ihr feinstes Kostüm in Rosa, Strümpfe und

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