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Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.

Titel: Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Powelz
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widersprechen, Herr Weiß. Jeder von uns trägt sein Päckchen…“
    „Wo ist dieser tolle Mann denn heute, wo es Ihnen so dreckig geht und Sie in dieser Kartoffelkiste wohnen?“, fragte Rudi. „Warum ist er nicht hier – oder sehe ich ihn nicht?“ Er blickte sich hektisch im Grünen Saal um, als wolle er Olimpia hemmungslos verspotten.
    „Ich schätze Ihr ehrliches Interesse“, antwortete die Trans-Frau. „Aber das ist eine Privatsache. Wenn mein Mann kommt, werde ich Sie einander vorstellen. Dann werden Sie nicht mehr mit den Ohren schlackern wie ein wildgewordener Elefant, sondern schnell das Weite suchen. Mein Mann kann sehr böse werden, wenn er hört, dass andere Menschen schlechte Dinge zu mir sagen!“
    Rudi suchte das Weite.
    „Als müsste man eine Schmeißfliege verscheuchen“, sagte Olimpia lachend. „Ihnen kann ich ja verraten, wo er sich aufhält, Minnie. Mein Mann ist mit einer internationalen Tanztruppe und unserem Chihuahua im Ausland unterwegs. Er weiß noch nicht, dass ich jetzt hier bin. Doch nächste Woche wird er zurückkommen. Sein Engagement endet Silvester.“
    „Hoffentlich lerne ich ihn noch kennen“, erwiderte Minnie.
    „Mit Zeit und Raum hat er es nicht so“, meinte Olimpia zähneknirschend. „Gut möglich, dass er unterwegs von Freunden aufgehalten wird, weil er noch jemandem helfen muss oder einen Koffer verloren hat oder seinen Flug verpasst. Aber er ist die treuste, beste Seele der Welt. Er braucht keine riesige Wohnung, in der man sich aus dem Weg gehen kann – sondern ihm reichen zehn Quadratmeter. Er kann sich an alles anpassen. Außerdem skypen wir ständig. Wenn Sie mich mal in meinem Zimmer besuchen, können Sie sich mit ihm unterhalten. Lust?“
    Minnie nickte.
    Die fast zwei Meter große Trans-Frau freute sich. Und sie gab Minnie ein Versprechen. „Wenn Sie die Ankunft meines Mannes noch erleben, wird er Ihnen die beste und längste Fußmassage der Welt geben. Pro Fuß eine halbe Stunde! Mein Mann hat zwar nie einen Cent in der Tasche, aber sein Herz ist voller Liebe. Er ist ein großer Lebenskünstler, der sofort erkennt, wer echt ist und wer ein falsches Spiel treibt. Er versteht es, richtig zu leben.“
    Kaum hatte sie das letzte Wort ausgesprochen, hörten Olimpia und Minnie einen Schrei.
    Adolf Montrésors Kopf zuckte so wild und unkontrolliert, als hätte er einen Krampf im Hirn. Sofort eilte ein Pfleger mit einer Spritze herbei, versorgte Adolf medizinisch und rollte ihn aus dem Grünen Saal.
    Doch obwohl er sich beruhigt hatte, sah Minnie, dass der Zeigefinger des Ex-Managers auf einen Punkt in der Ecke des Zimmers deutete. Er rief: „Komm her und hol mich! Da bist Du ja, mein kleiner Biber. Wie schön, Dich endlich wieder zu sehen!“
    Minnies Augen folgten seinem Finger.
    Für den Bruchteil einer Sekunde sah die alte Dame eine geisterhafte Parallelgesellschaft, deren Anwesenheit sie mehr erfreute als ängstigte: Ihren Hans, einen Engel, einen Biber, einen Flötenspieler, eine Alraune, einen Pelikan, die gute Fee, einen Hirten sowie rund zwanzig andere Gestalten. Und sie entdeckte einen verspielten Kater mit Kuhflecken und rosafarbener Schnauze, der sie an den kleinen blauen Elefanten aus der Sendung mit der Maus erinnerte. Er sprang im Kreis herum und versuchte seinen eigenen Schwanz zu fangen. Nepomuk und seine Freunde feierten zusammen Weihnachten, während Mimi der skurrilen Gesellschaft ihr Hinterteil zeigte.

Montrésor sagt Guten Morgen
     
     
    Adolf  dachte nach.
    Seit zwei Tagen kam er nicht mehr aus dem Grübeln heraus.
    Gedanklich stolperte er immer wieder darüber, was er am Heiligen Abend im Grünen Saal gesehen hatte, und er meinte nicht den Biber, der seit seinem Einzug ums Haus streifte, bis das Tier irgendwann sogar über die Flure gelaufen war und in sein Zimmer huschte.
    Nein, Adolf Montrésor irritierte etwas anderes.
    Auf der Weihnachtsfeier hatte Kostja Croutons über den Salat gestreut, direkt vor seinen Augen. Dabei war ihm eingefallen, dass er die gleiche Szene schon Mal gesehen hatte – am Nachmittag von Professor Pellenhorns Tod.
    Damals hatte er in der Ecke des Esszimmers gesessen, sich über seinen Uhrglasverband geärgert und verschiedene Punkte im Raum fixiert, um zu testen, wie gut er überhaupt noch sehen konnte.
    Plötzlich hatte er eine Person erblickt, die sich an den für diesen Abend bereit gestellten und mit Frischhaltefolie abgedeckten Speisen für die Gäste zu schaffen gemacht hatte. Damals dachte er,

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