Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
Gesprächs, die aus einem Raum am Ende des Ganges, direkt neben dem Lift, zu ihr drangen. „Da gibt es überhaupt keinen Zweifel!“, sagte eine düstere Männerstimme.
Minnie identifizierte sie als den scheppernden Klang von Knut Knopinski.
Interessiert spitzte sie die Ohren.
„ Aber…“, warf Gertrud Knopinski ein. Doch wie zuvor an der Kaffeetafel wurde die Kranke erneut jäh von ihrem Mann unterbrochen, der zornig auf einen Tisch schlug. „Das ist mein letztes Wort. Wir gehen nicht zum Abendessen. Ich will über etwas nachdenken.“ „Ich möchte aber runter“, bettelte Gertruds Stimme. „Ich möchte so gern ein Clementinchen.“
„Wir essen hier!“ Der scharfe Ton von Knut Knopinskis Stimme ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er letzte Wort gesprochen hatte.
Minnie hörte, wie er zum Zimmertelefon ging und unten in der Küche anrief. „Knopinski am Apparat! Der runzlige Bastard soll uns das Abendessen hochbringen. Außerdem will ich sofort einen dieser frischen, selbstgemachten Vitaminsäfte, die der Mann, der sich Koch nennt, morgens verteilt. Aber süß muss er sein – so süß wie der Saft zwischen gespreizten Jungfrauenschenkeln…“ Knut Knopinski knallte den Hörer auf.
„Ich soll doch nichts Süßes…“, klagte Gertrud. Die mollige Dame wurde erneut vom bösem Hetzen ihres verschlagenen Gatten unterbrochen.
Minnie hörte genau, was er sagte. „Überhaupt… was bildet sich diese Person ein? Ich werde der Sache morgen auf den Grund gehen. Ich fühle mich hier nicht mehr sicher! Und Du bist es auch nicht, Gertrud!“
„Aber wie begründen wir, dass wir nicht hinunterkommen? Sonst sind wir immer…“
„Wir sagen einfach, dass wir uns dafür schämen, dass Du Dich an jedem Abend vor den Augen aller anderen bekleckerst!“ Scharf sog Knut Knopinski die Luft ein. „Oder wir begründen es damit, dass Du die Wurst immer falsch aufs Brot legst. Oder damit, dass Du mir immer ins Wort fällst. Such Dir einen Grund aus! Ich will in Ruhe nachdenken…“
„Aber wo meinst Du, hast Du…“
Leider öffnete sich ausgerechnet in diesem Moment die Tür des Lifts, der neben Knopinskis Tür lag und Omi trat aus dem Aufzug. Jetzt war die spindeldürre Dame schwarzhaarig. Das hieß, dass es ihr nicht gut ging. Unschlüssig blieb Omi im Flur stehen und starrte auf ihre Füße. Oder lauschte sie etwa?
Durch die angelehnte Tür der Knopinskis drangen weitere Wortfetzen. Jeder, der sich momentan auf dem Gang und der Treppe befand oder seine Tür nur angelehnt hatte, konnte das brisante Gespräch des uralten Ehepaars hören. Minnie jedoch vernahm nur Satzfetzen, weil Knopinski seine Stimme senkte, sobald es spannend wurde.
„Ja, es war…“, drang es aus seiner Tür. „… jetzt erinnere ich mich genau… es war skandalös… die Person, die ich heute Nachmittag im Esszimmer wieder erkannt habe, ist tatsächlich ein gefährlicher Mörder… und jetzt treffen wir uns Jahre später plötzlich hier wieder… natürlich sieht er ganz anders aus als damals, aber in diesem Fall kenne ich kein Pardon… da kann er sich noch so gut tarnen… morgen werde ich alles auffliegen lassen, sobald ich mich erinnert habe, wo ich ihm schon einmal begegnet bin… zuhause habe ich noch ein Foto von früher... mit diesem Mörderfoto lässt sich alles beweisen!“
Er senkte die Stimme. Ein leises Zischen verriet, dass er immer noch lästerte und Gertrud in einen heimlichen Plan einweihte. Leider konnte Minnie von ihrem zu weit entfernten Platz keine Einzelheiten verstehen.
Von oben kam Mutter Merkel die Treppe hinunter, von unten bogen Annette und Angie um di e Ecke. Omi schloss ihre Tür von innen. Doch vorher huschten zwei schwarzweiße Katzen aus dem sich schließenden Spalt von Zimmer 1.
„Kuhflecken-Katzen!“
Minnie konnte es kaum glauben. Sie streckte die Hand aus. Sofort kam ein kleiner Kater auf sie zugeschossen, der sie an den kleinen, blauen Elefanten aus der Sendung mit der Maus erinnerte. Kurz bevor das Tier sie erreichte, zog es die Vorderbeinchen vor und streckte den Rücken, indem es die Hinterbeine x-beinig einknickte. Zuletzt reckte es der alten Dame sein süßes Köpfchen – vollkommen weiß behaart und gekrönt von einer schwarzen Maske, die an Batmans Tarnkappe erinnerte, aber nur ein Auge verdeckte – entgegen, bis seine rosafarbene Schnauze Minnies Fingerspitzen berührte.
Sehnsüchtig bot der Kater der alten Dame die rechte Gesichtshälfte für ein Begrüßungskraulen
Weitere Kostenlose Bücher