Die Flockenleserin. Ein Hospiz, 12 Menschen, ein Mörder.
rief Falk Berger. „Drogenmissbrauch im Hospiz ist ein Regelbruch. Wir werden Frau Nisse umgehend nach Hause entlassen.“
„Wie bitte?“, fragte Andreas. „Das geht nicht! Sie ist sterbenskrank.“
Der Hospizleiter beharrte auf seinem Entschluss. „Sie verlässt das Haus! Frau Nisse kann erst zurückkehren, wenn sich ihr Zustand so weit verschlechtert hat, dass sie im Sterben liegt!“
„Aber sie hat kein Zuhause“, meinte Dietmar. „Außerdem wird man Frau Nisse die kleine Fee wieder wegnehmen. Im schlimmsten Fall kommt das Mädchen in ein Kinderheim. Sie muss doch bloß noch ein paar Wochen überbrücken, bevor sie zu ihrer Tante darf.“
„All das liegt nicht in unserer Veran twortung.“ Falk Berger blieb hart. „Wenn der Kleinen bei uns etwas zustößt, etwa, weil ihre Mutter sie im Rausch angreift, können wir das Haus schließen! Dass Herr Knopinski unter unserem Dach gestorben ist, war genug Stress für diese Woche. Ein zweites Mal stirbt mir kein Angehöriger. Vor allem kein kleines Mädchen!“
Der Psychologe nickte. Er wollte das aufgebrachte Gemüt seines Chefs besänftigen, bevor er einen letzten Versuch unterna hm, ihn doch noch umzustimmen. „Natürlich haben Sie vollkommen Recht. Ich bin trotzdem dafür, es noch einmal mit ihr zu probieren. Wir werden einen besonderen Dienstplan für Nadines Zimmer aufstellen. Außerdem nehme ich sie selbst ins Gebet, und erkläre ihr die Folgen eines weiteren Drogenmissbrauchs.“
„Kommen Sie, Dr. Albers… Sie haben doch gehört, dass ich…“
„Wir könnten eine Kamera-Attrappe in Nadines Zimmer installieren. Das wird ihr zu denken geben.“
„Ich weiß wirklich nicht…“
„Herr Berger! Es sind nur noch ein paar Wochen!“
Sein Chef gab klein bei. „Gut. Frau Nisse bekommt eine letzte Chance. Aber es ist die allerletzte!“
„Herr Knopinski weg, Frau Knopinski weg, Minnie im Krankenhaus. Gleich drei Bewohner weniger!“ Im Esszimmer klagte Frau Prinz über die ausgedünnte Runde und über Kostjas Mittagessen. „Ich wollte Birnen, Bohnen und Speck, wie ich sie kenne.“
„Ich weiß gar nicht, was Sie haben“, sagte Omi. „Das Essen ist total lecker. Und Minnie kehrt doch schon morgen zurück!“
„Ja, ich weiß“, erwiderte Marisabel. „Aber dieses Kommen und Gehen und die ganzen Veränderungen sind so anstrengend. Kaum hat man sich im Jetzt eingerichtet, ist alles schon wieder anders. Und wieso schmecken die Bohnen nach nichts?“
Ihr Blick traf die Augen von Berthold Pellenhorn. „Wieeee immmaaa“, stieß der freundliche Mann hervor. „Dieee Boooonee meeeeckeeee wiieeeee immmaaa…“
Dann wurde die Hundezüchterin auch noch von Bella Schiffer gescholten. „Manchmal habe ich das Gefühl, Sie genießen Ihre kleinen Quengeleien, Frau Prinz.“
Diese Worte waren zu viel des Guten. Marisabel ging auf ihre Mitbewohnerin los, als hätte das schönste Mädchen in der Schulklasse Öl auf den mühsam im Zaum gehaltenen, aber glimmenden Neid der unzufriedensten Klassenkameradin geschüttet.
Angestachelt stützte die Hundezüchterin ihre Ellenbogen auf die Tischplatte, legte ihr Kinn in die verschränkten Hände und fixierte Bella triumphierend.
„Wo waren Sie eigentlich, als die Knopinskis starben?“
Bella ging hoch wie eine Furie. „In meinem Zimmer! Warum?“
Marisabel grinste vielsagend. „Allein?“
Es war nur ein Wort. Doch es war gesagt worden und nun stand es im Raum.
Alle Augenpaare richteten sich auf die frühere Schönheitskönigin. Selbst Berthold Pellenhorn blinzelte fragend.
Zögernd antworte Bella. „Natürlich war ich nicht allein! Ich hatte Besuch von meinem Mann. Außerdem waren meine Töchter bei mir.“
Damit gab sich Marisabel nicht geschlagen. „Wie lange denn?“, bohrte sie weiter.
„Als ob ich auf die Uhr gesehen hätte“, fuhr Bella die Hundezüchterin an. „Wieso interessiert Sie das überhaupt?“
Marisabel verzog die Lippen und rollte mit den Augen. „Nehmen wir einmal an“, sagte sie, „ich hätte nicht schlafen können, und wäre aus meinem Zimmer gegangen, weil mich der Knall einer Sektflasche geweckt hätte…“
„Stimmt!“, rief Omi. „Dass eine Flasche entkorkt wurde, habe ich auch gehört.“
„Nehmen wir weiterhin an, dass ich über den Flur geschlendert und durchs Haus gegeistert wäre, um mir die Füße zu vertreten. Und dass ich an Ihrem Zimmer vorbei gegangen wäre, liebe Bella. Was meinen Sie, hätte ich da wohl durchs Schlüsselloch sehen können,
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