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Die florentinische Prinzessin

Die florentinische Prinzessin

Titel: Die florentinische Prinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher W. Gortner
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wieder siedendes Pech von den Schutzwällen auf die Feinde zu gießen und aus dem Hinterhalt Pfeile auf sie abzuschießen, bis Schneestürme heranzogen, die die am Fuße der Mauern verwesenden Toten unter sich begruben. Auch die Vorräte der Belagerer begannen zu schrumpfen.
    Jeder Bericht, den ich erhielt, belebte aufs Neue die Schrecken meiner Kindheit. Ich war nie so fromm gewesen, wie ich immer getan hatte, aber in diesen entsetzlichen Monaten kauerte ich jeden Abend vor dem Zubettgehen und jeden Morgen nach dem Aufwachen vor meinem Betpult, um Colignys Rettung und le Balafrés Untergang zu erflehen.
    Im Dezember erreichte uns die Nachricht, dass Antoine, der Königingemahl von Navarra, bei der Belagerung von Orléans gefallen war. Jeanne von Navarra, die jetzt Witwe war, besaß die Unverfrorenheit, mich in einem Brief mit Vorwürfen zu überschütten: Ich hätte zugelassen, dass der Herzog von Guise Antoine in Gefahr brachte. Mir verschlug es beim Lesen ihrer Anschuldigungen den Atem. Sie tat so, als wäre es meine Schuld gewesen, dass sie es nicht vermocht hatte, ihren närrischen Gemahl vom Getümmel fernzuhalten! Allerdings verstand ich ihre Notlage und sandte ihr seine Leiche, damit sie ihn beisetzen konnte. Zugleich erhielt sie von mir die strenge Warnung, den Hugenotten weder Geld noch Waffen zur Verfügung zu stellen. Ich konnte es mir nicht leisten, dass auch noch sie in den Konflikt eingriff! Schließlich war sie eine Königin. Mit ihrer Hilfe würde sie die Sache der Hugenotten legitimieren, aber auch le Balafrés Zorn auf sich ziehen. Doch während die Tage kürzer wurden und ich ungeduldig auf Nachrichten über das Fortschreiten der Kämpfe wartete, dachte ich immer öfter an ihren tapferen Erben, den Jungen, der mich bei der Hochzeit meines verstorbenen Sohnes so tief berührt hatte. Wie meine eigenen Kinder hatte er nun keinen Vater mehr. Der Gedanke an seinen Verlust ließ mir keine Ruhe, sodass ich ihm eines Abends in einem persönlichen Brief meinen Trost anbot.
    Als ich das Schreiben versiegelte, fragte ich mich, ob Jeanne es ihn überhaupt lesen lassen würde.
    Kurz nach Neujahr begann le Balafré einen neuerlichen Angriff gegen die in Orléans gefangenen Hugenotten. Jeden Morgen schickte ich Lucrezia in den Hof hinunter, sobald der Kurier eintraf, und eines eisigen Januartages kam sie mit einem Schreiben in der Hand keuchend die Treppe heraufgerannt.
    Der Schock über die Nachricht war mir anzumerken. Beunruhigt sah Charles vom Pult auf, wo er wie jeden Vormittag von Birago unterrichtet wurde. »Maman, was habt Ihr? Was ist geschehen?«
    Er war inzwischen zwölf Jahre alt und hatte jenes heikle Alter zwischen Kindheit und Reife erreicht. Er war in die Höhe geschossen, damit aber auch unsicher und schlaksig geworden und hatte einen unruhigen Schlaf bekommen. Seine Gemächer grenzten unmittelbar an meine, sodass ich ihn ständig im Auge behalten konnte. Als ich die Angst in seiner Miene bemerkte, brachte ich einen Gleichmut auf, den ich in Wahrheit nicht spürte.
    »Es ist le Balafré«, sagte ich. »Er ist verwundet worden.«
    Seine Augen verengten sich. »Wird er sterben?« Bevor ich antworten konnte, riss er mir das Schreiben aus den Händen. »Der Herzog von Guise wurde von einer Kugel getroffen«, las er laut. »Der Attentäter hat gestanden, von Coligny gedungen worden zu sein. Eure Hoheit muss sofort kommen.« Er brach in schadenfrohes Kichern aus. »Coligny hat für le Balafrés Ermordung gezahlt! Hervorragend! Dafür werde ich ihm einen Orden verleihen.«
    »Nein«, widersprach ich hastig, von seiner Vehemenz aufgeschreckt. »Das darfst du nicht sagen. Coligny würde nie einen Mörder anwerben. Außerdem lebt le Balafré ja noch.«
    Charles zerknüllte die Botschaft. »Mit Glück nicht mehr lange. Wann brechen wir nach Orléans auf? Ich will den stolzen Herzog vor seinem Tod sehen, damit ich ihm ins Gesicht spucken kann.«
    Mit einem trockenen Auflachen, das ich mir einfach nicht verkneifen konnte, entwand ich ihm das Schreiben und zerzauste ihm das Haar. »Du bist zu leidenschaftlich, mein Sohn. Du musst lernen, dich zu beherrschen.« Ich hob drohend den Finger. »Und du bleibst hier. Lass mich das erledigen.«
    Schon beim Betreten des Lazarettzelts schlug mir der Gestank von Eiter und Blut entgegen und löste beinahe einen Brechreiz aus. Als ich vor dem Bett des Herzogs stand, musste ich die schlimmen Erinnerungen an den Tod meines Gemahls zurückdrängen. Le Balafré rang keuchend

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