Die florentinische Prinzessin
Haken schlug und zurückrannte, mitten auf seine Verfolger zu. Dem ersten der Männer, der sich auf ihn werfen wollte, wich er aus. Er lief weiter über den Hof, wäre fast gegen den Brunnen geprallt, wechselte erneut die Richtung und jagte direkt auf mich zu.
Plötzlich streckte er seine Hände aus, seine Finger verkrallten sich in der Luft. Ich hob unwillkürlich die Hand, packte die seine. Aus seinem Mund spritzte ein dunkelroter Strahl. Dicht vor mir stürzte er mit dem Gesicht voran zu Boden. In seinem Rücken steckte bis zum Schaft ein Dolch.
Brüllend bearbeiteten ihn zwei der Maskierten mit Tritten, bis er auf dem Rücken lag, und rammten ihm wieder und wieder ihre Dolche in die Brust. Dann blickte einer von ihnen auf, erkannte mich – und erstarrte.
»C’est la reine mère!« , brüllte er. Ich starrte ihm in die von der Maske weiß umrandeten Augen. Blitzartig riss er die Klinge aus dem Körper seines Opfers und stob mit den anderen ausgelassen lachend davon, als wäre das alles nur ein Spaß.
Ich schaute auf den Toten zu meinen Füßen hinunter, dessen grüne Augen schon glasig waren. Auf seinem blutgetränkten Wams lag ein roter Schild, verziert mit zu einem Netz verschlungenen goldenen Ketten.
Das Wappen von Navarra.
Ihr und er seid die zwei Hälften eines Ganzen. Ihr braucht einander, um Euer Schicksal zu erfüllen .
Ich keuchte auf. »Nein, nicht ihn!« Ich jagte die Treppe hinauf, dicht gefolgt von Lucrezia. Mir brannten die Lungen, als ich plötzlich spürte, wie mir etwas Nasses gegen die Beine schlug. Ich blickte an mir hinab und bemerkte zu meinem Entsetzen, dass ich eine Blutspur hinterlassen hatte; irgendwie mussten meine Rockschöße mit der Blutlache unter diesem armen Jungen in Berührung gekommen sein.
Wir erreichten das dritte Stockwerk, und nun hörte ich auch Lucrezia hinter mir keuchen. Ansonsten herrschte hier oben gespenstische Stille. In der Ferne waren zwar immer noch Gewehrsalven, wüste Schreie und verängstigtes Kreischen zu vernehmen, doch das alles wirkte irreal, von den Wandteppichen gedämpft. Wir liefen weiter zu der goldenen Tür vor den Gemächern der Königin. Auf das Holz war ein rotes Kreuz geschmiert worden, von dem immer noch die nasse Farbe troff. Mit beiden Fäusten hämmerte ich gegen die Tür. Obwohl ich mich darüber wunderte, dass hier keine Wachposten standen, war mir klar, dass ich nichts zu fürchten hatte und meine Schwiegertochter in Sicherheit war. Geheimbefehle waren ausgegeben worden. Nur diejenigen, die sich ins Freie wagten, riskierten den Tod.
»Ich bin es!«, rief ich. »Macht auf!« Meine Stimme hallte gespenstisch in dem langen Gang wider. Dann wurde ein Riegel zurückgeschoben und die Tür geöffnet; ich erkannte Isabell in ihrer Robe. Aus dem Netz über ihrem Haar hatten sich mehrere schweißnasse Strähnen gelöst. Perplex starrte ich auf das an ihren linken Unterarm gebundene weiße Tuch, auf dem ein rotes Kreuz prangte. Bevor ich ein Wort sagen konnte, packte sie mich an der Schulter. »Kommt schnell rein! Ihr tragt ja gar nicht das Zeichen! Ohne es bringen sie Euch um!«
Ich riss mich los, bevor sie mich hineinzerren konnte. In ihrem Rücken bemerkte ich die bleichen Gesichter ihrer auf der Gebetsbank knienden Hofdamen. »Was für ein Zeichen?« Ein Anflug von Hysterie kroch in meine Stimme. »Was ist los? Heraus mit der Sprache! Sofort!«
»Das Zeichen.« Sie pochte mit dem Zeigefinger auf die Binde. »Es zeigt, dass man Katholik ist. Wusstet Ihr nicht, was sie draußen machen? Sie bringen die Häretiker um. Wer kein Zeichen trägt, ist so gut wie tot.«
Lucrezia stöhnte verängstigt und blickte so gehetzt um sich, als wäre sie dabei, den Verstand zu verlieren.
»Aber das kann nicht sein!«, ächzte ich. »Ich habe ihnen ausdrücklich gesagt: nur die im Haus. Das kann nicht sein. Es kann einfach nicht sein!«
Ein Kreischen ließ uns herumwirbeln. Gelähmt vor Entsetzen sahen wir, wie drei Frauen in panischer Flucht von der Treppe her um die Ecke liefen und den langen Flur zum Flügel des Königs entlangrannten. Dicht auf den Fersen folgten ihnen mit Spießen bewaffnete Männer. Die verzweifelten Schreie der Frauen schienen von den Wänden zurückzuprallen und sich zu vervielfachen, bis nichts anderes mehr zu hören war.
Dann, mit einem Schlag, erstarb das Kreischen.
»Schnell, rein!«, wiederholte Isabell. »Hier sind wir sicher. Das Zeichen und das Kreuz werden uns schützen.«
Ich wandte mich zu ihr um. »Wo ist Margot?
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