Die florentinische Prinzessin
als sähe ich die bewaffneten Männer, die hinter Guise und Henri zu Pferde durch die dunklen Gassen von Paris zu dem Haus in der Rue de Béthisy sprengten, wo ein schwer verwundeter Mann in seinem Bett lag, ohne zu ahnen, dass der Tod nahte.
»Es wird gut ausgehen«, erklärte ich Lucrezia und wohl auch mir selbst. »Du wirst sehen, alles wird gut …«
Während wir den langen, gewundenen Gängen des alten Palasts folgten, fiel mir in zunehmendem Maße die Stille auf, die auf ihm lastete. Da für den Abend keine offizielle Unterhaltung vorgesehen war, hatten die Höflinge sich gewiss jeweils ihre eigene Zerstreuung gesucht, doch heute wirkte der Louvre unnatürlich still. Das beunruhigte mich. Ich war es gewöhnt, Gruppen von Frauen in von Juwelen starrenden Kleidern vorbeihuschen oder Männer in den Schatten zu sehen. Sämtliche Räume waren mit Hochzeitsgästen überfüllt, und dennoch schien es, als stünde der ganze Palast leer.
Erneut blickte ich Lucrezia an. »Das ist ja wie in einer Gruft. Wo sind die Leute alle?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht.« Etwas an ihrem Ton, das fast nach Angst vor etwas ganz Bestimmtem klang, ließ mich wie angewurzelt stehen bleiben. »Lucrezia, was ist?«
»Nichts, nichts«, begann sie, nur um mich unter ihrem Tuch, das sie sich über den Kopf gezogen hatte, aufmerksam zu beäugen. »Ich dachte, Ihr wüsstet es. Es wird gemunkelt, Seine Majestät fühle sich unwohl und hätte im Palast eine frühe Bettruhe ausgerufen.«
»Unwohl? Aber ich habe Charles doch erst vor wenigen Stunden verlassen. Er war aufgeregt, aber …«
Vertraut mir, Maman. Nach heute Nacht werdet Ihr Euch nie wieder wegen der Hugenotten sorgen müssen .
Als mir Henris rätselhafte Worte wieder einfielen, keuchte ich auf. Ich setzte mich wieder in Bewegung, mit beschleunigten Schritten jetzt, und presste mir unwillkürlich die Hand an die Kehle. Lucrezia hastete hinter mir her. Wir durchquerten einen Innenhof, dessen Kiesboden und Brunnen in der Mitte über und über mit Bauschutt von den Renovierungsarbeiten bedeckt waren, die ich in Auftrag gegeben hatte. Ich stolperte, woraufhin mich Lucrezia beherzt am Arm ergriff. Dann deutete sie stumm nach unten. Ich senkte den Blick, und erst jetzt bemerkte ich, dass ich immer noch meine Hausschuhe mit den weichen Sohlen trug. »Ich hätte mir richtige Schuhe anziehen sollen«, murmelte ich.
Nachdem wir den Brunnen passiert hatten, hielten wir auf eine von Fackeln erleuchtete Arkade zu, wo eine Treppe zu Isabells Gemächern führte.
In diesem Moment hörte ich das traurige Läuten einer Glocke.
»Saint Germain-l’Auxerrois«, erklärte Lucrezia zu meiner Erleichterung. Das war die Kirche gegenüber dem Louvre. Da ich um diese Zeit normalerweise schon im Bett lag oder in meinen Gemächern schrieb oder las, hatte ich sie bisher nie vernommen. Aber als die Glocke unablässig weiterschlug, ein Signal, das seit jeher von einem Unglück kündete, wurde ich von Angst ergriffen. Ich erstarrte, die Hände in mein Halstuch verkrallt. Lucrezia fasste nach meiner Hand, als …
Ein Schuss peitschte durch die Luft. Lucrezia und ich starrten einander entsetzt an. Noch ein Schuss explodierte, dann zerriss ein Aufheulen die Stille, dem gleich ein weiteres folgte. Schmerzensschreie, die durch die Nacht gellten, durchbrochen von Rufen in der Ferne, dem Klirren von Stahl und dem aufgeregten Poltern von Schritten.
Dann breitete sich erneut die unwirkliche Stille aus.
»Margot«, flüsterte ich. »Wir müssen Margot finden, bevor …«
Eine Salve von Schüssen aus Hakenbüchsen, anscheinend direkt über unseren Köpfen abgefeuert, schnitt mir das Wort ab. Lucrezia schnappte nach Luft, und ich selbst geriet ins Wanken, umtost von der Kakophonie, die mitten aus dem Palast kam.
Am Rande meines Blickfeldes raste etwas an uns vorbei. Ich wirbelte herum und packte Lucrezia. Es war ein Mann, der durch die Arkade rannte – ein junger Bursche mit zerzaustem Haar, schwarzem Wams, schwarzer Hose und vor Entsetzen weit aufgerissenem Mund, die Hände von sich gestreckt, als wollte er sich durch ein Fenster stürzen. Ihn verfolgte eine Gruppe von Männern, die ich auf Anhieb als Angehörige des Hofes erkannte, allesamt mit Lederwams, schwarzen Masken vor dem Gesicht und bewaffnet mit Pistolen und Messern. Ich sah, wie sie dem Jungen immer näher kamen, der nun um eine Säule herumrannte, jäh stehen blieb, als ihm klar wurde, dass er dort nicht weiterkam, blitzartig einen
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