Die florentinische Prinzessin
Rücken ließ mich jäh herumfahren. Es waren unsere Hofprostituierten, die dort hinten zwischen den Leichen flanierten, alle in ihren besten Kleidern, mit ausgiebig gepuderter Haut, glitzernden Rubinen und Perlen über dem Busen, weißen Armbändern an den Handgelenken und Kruzifixen und Rosenkränzen um den Hals. Miteinander tuschelnd deuteten sie auf einen ehemaligen Liebhaber, der jetzt niedergemetzelt zu ihren Füßen lag. Als eine von ihnen einen Toten mit dem hohen Absatz ihres Tanzschuhs anstieß, wurde mir übel.
Obwohl ich schon Tausende von Malen durch diesen Gang zu meinem Sohn gelaufen war, verlor ich nun die Orientierung. Ich blieb stehen und zwang mich zu überlegen, mich zu konzentrieren. Irgendein vertrautes Möbelstück, Gemälde oder Standbild, das mir den Weg weisen konnte, musste sich doch wiedererkennen lassen. Nichts. Ich fühlte mich wie in einem Irrgarten gefangen. Panisch bog ich in einen dunklen Gang, nur um die Säulenhallen und Säle zu vermeiden, wo gewiss die meisten Opfer herumlagen. Obwohl ich mich um die schwarzen Blutlachen herumschlängelte, war der Saum meines Kleides längst tropfnass. An den vertäfelten Wänden zogen sich blutrote Spritzer fast bis zur Decke empor; überall lagen weggeworfene und kaputte Waffen, als wäre unser Waffenlager geplündert worden. Irgendwann entdeckte ich an einer Eichentür weiter vorn Charles’ Initialen und stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Endlich hatte ich seine Gemächer erreicht.
Schon wollte ich losstürmen, als meine Füße gegen etwas stießen. Mit einem Aufschrei wich ich zurück, konnte jedoch den Blick nicht von der verkrüppelten, kleinen Gestalt wenden, die mir da im Weg lag. Ihr verkrümmter Rücken war mit Stichwunden übersät. Ein Schrei des Entsetzens stieg mir in die Kehle, doch dann erkannte ich, dass das nicht meine Zwergin, meine geliebte Anna-Maria war. Die Gestalt vor mir mit dem verkrümmten Rücken war einer von Charles’ Lieblingsnarren, der zum Ergötzen meines Sohnes die lustigsten Sprünge vollführt und mit Bällen jongliert hatte.
Ich lief an ihm vorbei und stürzte auf die Tür zu. Sie ließ sich öffnen. Drinnen erkannte ich vor Charles’ Schlafkammer zu meiner grenzenlosen Erleichterung fünf von unseren königlichen Wachmännern. Ihre Mienen verrieten keine Regung, doch als ich mich näherte, griff einer mit zitternder Hand nach seiner Hellebarde. Diese Männer waren aus der Schweiz angeworbene Söldner, die gut bezahlt wurden, damit sie ausschließlich dem König dienten. Sie hatten offenbar die ganze Zeit schützend vor den Gemächern meines Sohnes gestanden und waren so Ohrenzeugen des grauenvollen Gemetzels im Louvre geworden.
Sie wichen zur Seite und ließen mich den Vorraum betreten. Dort kauerte Birago auf einem Stuhl, das Gesicht in den Händen verborgen. Als er meine Schritte hörte, sah er auf, die Augen voller Trauer.
»Sind sie da?«, fragte ich mit krächzender Stimme.
Er deutete auf das Schlafgemach, wo ich meinen Sohn schlafend zurückgelassen hatte. Das schien mir hundert Jahre her zu sein. »Guise und seine Männer sind gekommen«, murmelte Birago mit einer Stimme, als spräche er in Trance. »Er hat mich hinausgeschickt. Seine Majestät hat vor Wut getobt. Ich habe ihn angefleht, Ruhe zu bewahren, aber als Guise ihn darüber aufklärte, dass er zu seinem eigenen Schutz in seinen Gemächern gefangen gehalten werde, hat er … die Nerven verloren. Er hat gebrüllt, dass er sich nie wieder von einem Guise Befehle erteilen lassen werde und jeden, der das versuchte, umbringen würde.« Birago blickte mich hilflos an. »Madama, er gebärdete sich wie ein Besessener und schrie, dass er Guise und jeden anderen Katholiken töten würde, der es wagte, seinen hugenottischen Gästen etwas anzutun. Dann kam Margot hereingestürzt. Sie hat berichtet, dass Navarra und Hercule in ihren Zimmern gefangen seien und umgebracht werden sollten. Guise wollte sie am Reden hindern, aber sie hat ihn ins Gesicht geschlagen und Charles gebeten, ihren Mann zu retten. Sie war so aufgeregt, dass Charles Navarra und Hercule auf der Stelle hierher, in seine Gemächer, bringen ließ.«
Während Birago sprach, erlosch in mir der Wille, der mich durch den Palast getrieben hatte. »Sie leben«, hörte ich mich flüstern. »Gott sei Dank, sie sind in Sicherheit.«
Birago zwang sich aufzustehen. »Navarras Gefolge, seine Freunde und Bediensteten … ich glaube, sie sind alle tot. Navarra war blutbedeckt, als sie
Weitere Kostenlose Bücher